Übersiedlung


Indonesien will in den nächsten Jahren eine gänzlich neue Hauptstadt errichten. Ähnliche Pläne gibt es aktuell auch in Ägypten. Dass Hauptstädte verlegt werden, ist nichts Neues − dahinter steckt meist eine Fülle an wirtschaftlichen, politischen wie auch strukturellen Interessen. Und nicht immer werden diese zur Gänze aus dem Boden gestampft. Der Bau ganzer Städte ist immerhin mit enormen Kosten verbunden und nicht zwangsläufig von Erfolg gekrönt.

Noch ist das 25 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählende Jakarta auf der Insel Java die Hauptstadt Indonesiens. Doch schon in wenigen Jahren dürften die ersten Behörden auf die Insel Borneo übersiedeln.

Tausende Hektar Regenwald in der Provinz Ostkalimantan werden in einem ersten Schritt für den Bau wichtiger Gebäude wie dem Präsidentenpalast gerodet. Andauerndes Verkehrschaos, aber auch regelmäßige Überflutungen des rasch versinkenden Jakartas machen einen Umzug notwendig.

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Pragmatische Gründe werden offiziell auch für den Bau einer neuen ägyptischen Hauptstadt, die 40 Kilometer östlich von Kairo entsteht, genannt: Kairo platzt immerhin aus allen Nähten − im Großraum Kairo leben 23 Millionen Menschen, etwa mehr als die Hälfte von ihnen in informellen Siedlungen und oft auf dichtem Raum.

Die neue Hauptstadt soll laut der Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi mehr Platz schaffen − konkret soll sie doppelt so groß wie Kairo sein. Das Vorhaben schreitet jedenfalls voran: Für den Umzug der Regierung in die "New Administrative Capital" (NAC), wo eines Tages 6,5 Millionen Menschen samt 50.000 Regierungsbeamten leben sollen, gab es kürzlich grünes Licht. Beobachterinnen und Beobachter erwarten aber, dass der Wohnraum für die meisten Ägypter kaum bezahlbar sein wird.

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Beispiele bereits fertiggestellter Planhauptstädte zeigen jedenfalls Stärken wie auch Schwächen solcher Vorhaben auf: Als Prototyp einer Planstadt gilt etwa die brasilianische Hauptstadt Brasilia, die 1960 fertiggestellt wurde und damit Rio de Janeiro ablöste. Ziel des enormen Aufwands war es, die Bevölkerung besser im Land zu verteilen.

Nach Vorstellung der Stadtplaner Oscar Niemeyer und Lucio Costa sollte Brasilia auch eine "Stadt für die Menschen" mit höchster Lebensqualität sein und ein "egalitäres Zusammenleben von Arm und Reich"ermöglichen. Dazu wurden am Paranoa-See überschaubare Viertel mit viel Grün und großen Wohnblocks gebaut, die auch über Geschäfte, Kliniken und Schulen verfügen.

Brasilien gelang es mit der Errichtung Brasilias, das Landesinnere wirtschaftlich und infrastrukturell zu beleben. Das Zentrum von Brasilia gehört seit 1987 zum Weltkulturerbe der UNESCO. Die ärmeren Gesellschaftsschichten wurden allerdings − anders als ursprünglich erhofft − an den Stadtrand gedrängt. Dem Beispiel einer zentraleren (Plan-)Hauptstadt folgten nichtsdestoweniger auch andere: so etwa Nigeria mit Abuja (statt Lagos) und Myanmar mit Naypyidaw (statt Rangun). Auch Pakistan verlegte seine Hauptstadt in den 60ern mit Islamabad weiter ins Landesinnere.

Gerade in puncto Charme und Lebensgefühl können derartige Planhauptstädte mit ihren Vorgängerinnen nur schwer mithalten: Zu steril seien die als Ganzes geplanten, nicht natürlich gewachsenen Städte im Vergleich mit den Metropolen, die sie ersetzen sollten, schrieb die "Financial Times" in einem Artikel aus dem Jahr 2019 mit Verweis auf Brasilia. Der Stadt fehle es an "Schönheit und Drama jener Stadt, die sie ersetzen sollte − Rio de Janeiro." Ähnliches wird dem australischen Canberra, das 1913 fertiggestellt wurde und Melbourne als Hauptstadt Australiens ersetzte, nachgesagt.

Auch politisch bewegen sich jene neu geplanten Städte immer wieder auf heiklem Terrain. Mit der aktuell entstehenden Elitestadt in Ägypten soll etwa die Möglichkeit von Unruhe begrenzt werden, ist sich Analyst Magid Mandur von der Denkfabrik Carnegie sicher. "Das Regime distanziert sich physisch von Kairo und seinen engen Straßen, in denen die polizeiliche Kontrolle schwieriger ist" und wo "die Masse der städtischen Armen streiken, Räume besetzen und Sicherheitskräfte angreifen kann". In Erinnerung sind noch die Massenunruhen von 2011, als besonders in armen Gegenden Kairos Polizeiwachen angegriffen und geplündert wurden.

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Einen Versuch, sich politisch abzusichern, gab es wohl auch mit dem Umzug der Hauptstadt von Myanmar, damals Burma: Das Regime von Generalissimus Than Shwe verließ Rangun 2005 und installierte sich in Naypyidaw. Der Bau der neuen Hauptstadt zwischen Rangun und der zweitgrößten Stadt des Landes, der einstigen königlichen Residenzstadt Mandalay, wurde offiziell mit der zentralen Lage begründet. Vermutet wurde von Beobachtern aber auch, dass die militärische Führung einerseits einen Angriff aus dem Ausland fürchtete und andererseits die Kontrolle über ethnische Minderheiten, die in den Grenzgebieten lebten, stärken wollte.

Nicht zu unterschätzen sei bei derartigen Projekten auch der Faktor Größenwahn, hieß es in der "Financial Times" ("FT") außerdem. "Regierungschefs, die sich dazu entscheiden, eine neue Hauptstadt zu gründen, sehen diese oft als ihr persönliches Denkmal an", schrieb die "FT". Ihre Auswahl sei teils "exzentrisch und kostspielig", hieß es mit Verweis auf Sankt Petersburg weiter.

Peter der Große erklärte Sankt Petersburg − benannt nach dem Apostel Simon Petrus − im Jahr 1712 anstelle von Moskau zur Hauptstadt des damaligen russischen Zarentums. Die Errichtung der Metropole war nicht nur teuer, sondern soll auch zwischen 30.000 und 100.000 Arbeiterinnen und Arbeiter das Leben gekostet haben. Hauptstadt Russlands sollte die Stadt bis Anfang des 20. Jahrhunderts bleiben: 1918 verlegten die Bolschewiki ihre Regierung nach Moskau.

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Die Kostenfrage ist für die Umsetzung von Planstädten letztlich entscheidend. Millionenstädte aus dem Boden zu stampfen ist immerhin sündhaft teuer: Indonesien nimmt dafür 32 Milliarden Dollar (28 Milliarden Euro) in die Hand, Ägypten lässt sich die erste von drei Bauphasen seiner neuen Hauptstadt 50 Milliarden Euro kosten. Sisis Vorgänger − die Präsidenten Anwar al-Sadat und Hosni Mubarak − scheiterten mit ähnlichen Vorhaben bereits.

Aufgrund finanzieller Probleme hatte sich auch der Bau von Nigerias nunmaliger Hauptstadt Abuja verzögert. Die Planung der Stadt begann 1976, Abuja löste Lagos aber erst am 12. Dezember 1991 als Hauptstadt von Nigeria ab.

Billiger und praktischer scheint es jedenfalls, eine Hauptstadt in eine bereits bestehende Stadt zu übersiedeln. Gerade auch im näheren Umfeld gibt es dafür Beispiele − etwa Deutschland. So war Bonn seit 1949 provisorischer Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland. Berlin kam zu jenem Zeitpunkt unter anderem auch wegen des Viermächtestatus infolge des Zweiten Weltkriegs nicht infrage. Spätestens seit der Anerkennung der DDR als zweiter deutscher Staat übernahm Bonn alle Aufgaben einer Hauptstadt. Erst 1991 wurde − das bis dahin geteilte − Berlin mit der deutschen Wiedervereinigung wieder zur Hauptstadt gemacht.

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Dass eine Hauptstadt, die meist symbolisches wie auch politisches Zentrum eines Staates ist, nicht immer auch wirtschaftliches und kulturelles Zentrum ist, zeigt sich nicht zuletzt am türkischen Ankara. Ankara wurde 1923 wegen seiner geografisch zentraleren Lage und als Zeichen der Abgrenzung vom Osmanischen Reich zur Hauptstadt der neu gegründeten Türkischen Republik gemacht. Unangefochtene Wirtschafts- und Kulturhauptstadt des Landes blieb dennoch das deutlich größere Istanbul.

Quelle:
Wenn Hauptstädte übersiedeln
(abgerufen am 23.01.2022)