Fast-Fashion-Müllberg


Vor der Tür der kleinen Holzhütte stapeln sich tonnenweise Altkleider. Ein gigantischer Müllberg, von dem Manuela Olivos lebt. Sie recycelt den Kleidermüll, der aus der ganzen Welt hierher gekarrt wird. Oft auch Neuware, die in den Fußgängerzonen der reichen Länder nicht verkauft werden konnte. Überproduktion des perversen Systems der Fast Fashion. Was die Industrienationen nicht wollen, landet zu großen Teilen hier in der chilenischen Freihandelszone "Zofri", 59.000 Tonnen Kleidung pro Jahr.
Wir sind unterwegs in Nord-Chile. Auf der Suche nach den Abfällen der globalen Mode-Industrie. Anwohner führen uns in höher gelegene Täler. Wir fahren erst vorbei an Armensiedlungen. Hütten ohne Strom, in denen meist Migranten leben. Kurz darauf sehen wir Autoreifen – und dann Kleidung. Jede Menge. Weggeworfen mitten in der berühmten Atacama-Wüste. Vor mir liegen tausende Stoffreste. Ein völliges Chaos. Es riecht nach chemischen Ausdünstungen. Freddy, einer der Anwohner, ärgert sich über die Müllhalde, aber er weiß auch: Dieser Müllberg gibt einigen Familien Arbeit. "Manche Leute kommen her und suchen sich etwas raus. Für sich selbst oder um es in der Stadt auf dem Second Hand Markt zu verkaufen. Nur jetzt ist gerade kaum jemand da, weil ein Teil der Stoffe vor Kurzem gebrannt hat."
Chefin der Müllhalde

Kleidermüll von der Resterampe. Was die Geschäfte unten in der Stadt loswerden wollen, holt sich Manuela Olivos. Sie ist die Chefin dieser Müllhalde. "Die Kleidung kommt aus aller Welt. Ab und an hole ich sie aus den Läden unten in der Stadt. Dort gibt es Lagerhäuser, wo ich nachfrage, ob sie Müll für mich haben." Wer sich am Kleiderberg bedienen darf, entscheidet Manuela. "Ich bekomme Geld von den Menschen, die hier nach Kleidern suchen. Entweder für sich selbst oder zum Weiterverkaufen. Davon lebe ich." Manuela lebt in einer Holzhütte – umgeben von Altkleidern. Vom Staat erhalten sie und ihr behinderter Mann 115 Euro Mindestrente. Mit dem Geld vom Kleidermüll verdienen sie sich etwas dazu. "Niemand hat Mitleid mit uns", klagt Manuel Jesus. "Ich versuche, zumindest Hühner und Enten zu züchten. Hier und dort habe ich noch ein paar Pflanzen gesät."
Der Kleiderberg ist den Behörden der benachbarten Stadt Alto Hospicio zwar ein Dorn im Auge. Der Umweltbeauftragte jedoch klagt, er könne nichts dagegen unternehmen. Jede Woche kommen neue Ladungen hinzu. "Das Geschäft mit Altkleidern ist hoch profitabel für einige Händler", erklärt Edgar Ortega, Umweltbeauftragter Alto Hospicio. "Diese sitzen in Iquique, in der Freihandelszone "Zofri" und importieren Second Hand Ware. Es gibt 53 solcher Importeure. Ihr Geschäftsmodell ist lukrativ – aber nur für sie. Unserer Gemeinde schadet es."
Freihandelszone Zofri

Wir fahren hinab in die Provinzhauptstadt Iquique. Sie liegt eingeklemmt zwischen Wüste und Pazifik. Früher wirtschaftlich schwach – bis ein Container-Hafen gebaut und die Freihandelszone "Zofri" geschaffen wurde. Ein Gebiet ohne Zölle und mit erheblichen Steuervorteilen für die Importeure von Altkleidern – auch aus Deutschland. Unsere Reste aus Altkleidercontainern und auch unverkäufliche Saisonware vertreiben sie in der Region. Vieles jedoch – geschätzt 40 Prozent – geben sie den Müll-Sammlern. "Es variiert von Container zu Container", sagt die Verkäuferin Naya Challapa. "Bei einigen ist alles in gutem Zustand. Bei anderen müssen wir jede Menge schlechte Ware auf den Müll werfen."
Chile ist der größte Importeur von Altkleidern in Südamerika. Anders als in vielen Nachbarländern ist dies hierzulande nicht verboten. Deshalb entsorgen Firmen aus der halben Welt ihre Reste – die dann in der Wüste landen. Wir treffen den Vorsitzenden der verantwortlichen Freihandels-Importbetriebe. Er verspricht Besserung. "Ich kann sagen, dass die Kleidungsimporteure zukünftig ihren Beitrag leisten wollen", meint Dario Blanco, vom Verband der Nutzer der Freihandelszone (AUZ). "Sie möchten sich jetzt um die negativen Auswirkungen ihres Geschäftsmodells kümmern." Es wird einen Wandel geben? "Absolut!" Flüchtlinge aus Venezuela

Die meisten Stoffe sind synthetisch. Und zersetzen sich erst nach vielen Jahren. Die, die hier nach Verwertbarem suchen, sind Flüchtlingsfamilien aus Venezuela. Sie recyceln, was sie finden – zum Weiterverkaufen oder für sich selbst und ihre Kinder. "Auf der Flucht durch die Wüste mit meinen beiden Kindern musste ich meinen Koffer mit all unseren Kleidern zurücklassen" erzählt Sofia, "weil ich es sonst nicht geschafft hätte. Ich habe all meine Ersparnisse aufgebraucht." Immer wieder sehen wir Flüchtlinge. Es sind hunderte, die quer durch die Wüste marschieren. So wie diese Familie. Trotz brennender Mittagshitze wollen sie Iquique erreichen. Um dort Arbeit zu finden. Bis dahin sind es aber noch zweihundert Kilometer. Sie wirken entkräftet. "Es ist extrem schwierig" klagt André. "Für die zwanzig Kilometer von der Grenze bis hierher haben wir vier Tage gebraucht. Richtig voran kommen wir nicht. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt."
Oft enden die Venezolaner in Chile als Hungerlöhner – auch auf dem Müllberg. Der liegt zwar 12.000 Kilometer entfernt von Europa. Trotzdem finden wir nach kurzer Suche Abfall auch aus Deutschland. Z.B. mit der Aufschrift: "Peters Zeitarbeit. Ihr Partner für Personalmanagement." Neben Videokassetten liegt ein Telefonbuch – aus Bremen. Und: Socken Größe 39 bis 42. Hier ist ein Etikett eines Sockens. Auf deutsch – die erste Sprache: "Sportliche Herrensocken". Mit Baumwolle und Elasthan. Neue Produkte landen also auch auf diesem Müllberg. Er ist ein Sinnbild für die Auswüchse der globalen Mode-Industrie. Die von Nachhaltigkeit noch weit entfernt ist.

Quelle:
Fast-Fashion-Müllberg in der Atacama-Wüste
(abgerufen am 11.04.2022)