Afrika



In Europa gilt das Poliovirus bzw. die Poliomyelitis offiziell seit fast zwei Jahrzehnten als ausgerottet, wenngleich einzelne Fälle auftraten, am Dienstag meldete nun auch Afrika entsprechende Erfolge. Auch in den 47 Ländern der Region Afrika (nach WHO-Definition) sei der Wildtyp des Virus besiegt. "Heute ist ein historischer Tag für Afrika", sagte die Leiterin der ARCC, Rose Leke.

Laut WHO ist es erst das zweite Virus, das auf dem Kontinent ausgerottet wurde, nach den Pocken vor rund 40 Jahren. Nun gelte es, Polio komplett zurückzudrängen, sagte die Leitern der WHO in Afrika, Matshidiso Moeti. Denn noch immer besteht auf dem Kontinent eine seltene, von Impfungen stammende Form von Polio – und zwei Länder der Welt kämpfen noch immer gegen das wilde Poliovirus: Afghanistan und Pakistan.

Das Virus galt jahrzehntelang als eine extrem große Bedrohung für Kinder weltweit. Die Krankheit greift das Nervensystem an und kann innerhalb von Stunden zur Lähmung führen, vor allem Kleinkinder unter fünf Jahren sind betroffen. 1988 beschloss die Weltgemeinschaft, die Krankheit auszurotten. Doch die Herausforderungen in Afrika waren gewaltig: militärische Konflikte, schlechte Infrastruktur, Menschen auf der Flucht und Misstrauen gegenüber Impfungen erschwerten die Arbeit von Hilfsorganisationen.

Noch 1996 betraf das wilde Poliovirus laut WHO mehr als 75.000 Kinder in Afrika – in jedem Land auf dem Kontinent. Erst als Südafrikas damaliger Präsident, Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela, im selben Jahr eine Kampagne startete, wurde die Krankheit in Afrika verstärkt bekämpft. Millionen von Impfungen wurden verabreicht. Laut der WHO wurden rund 1,8 Millionen Fälle von Lähmung durch Polio verhindert.

Doch die globale Gefahr ist noch nicht gebannt – Pakistan und Afghanistan kämpfen noch immer gegen die Krankheit. "Wir haben bedeutende Fortschritte bei der Bekämpfung der Krankheit erzielt, konnten aber leider keine Polioausrottung im Land erreichen", sagte der Koordinator der Polio Eradication Initiative (GPEI) in Pakistan, Rana Safdar.

In dem Land wurden in diesem Jahr bisher 67 Fälle mit dem Polio-Wildtyp bestätigt, in Afghanistan 37. Grundlage, ein Land als frei von dem Virus zu erklären ist, dass es seit mindestens drei Jahren keine bekannte Erkrankung mehr gab.

Der Kampf gegen Polio ist dort besonders schwer wegen islamistischer Extremisten, die mitunter die Verschwörungstheorie verbreiten, der Westen wolle muslimische Kinder sterilisieren. Immer wieder werden Impfkampagnen von gewaltsamen Zwischenfällen überschattet. In diesem Jahr erschwerte vor allem die Coronavirus-Krise die Arbeiten: Wegen der Pandemie wurden in beiden Ländern Impfkampagnen ausgesetzt, alleine in Pakistan fehlte dadurch Schätzungen zufolge rund 40 Millionen Kindern die wichtige Schutzimpfung gegen die Erkrankung.

Doch auch in diesen Ländern gibt es Hoffnung. Laut Einschätzung von Michael Galway, dem stellvertretenden Leiter des Polioprogramms bei der Gates Foundation, könnte wildes Polio in Afghanistan und Pakistan innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre ausgerottet werden. Die von Microsoft-Mitbegründer Bill Gates und seiner Ehefrau Melinda gegründete Stiftung, dotiert mit fast 50 Mrd. Dollar (über 42 Mrd. Euro), ist eine der Organisationen, die weltweit Polio und Malaria bekämpft.

Bis dahin besteht auch in Afrika weiterhin die Gefahr, dass wilde Polio durch einen importierten Fall zurückkehrt. "Polio irgendwo (auf der Welt) ist ein Risiko für jedes Land", sagte Galway. Daher werden weiterhin Kinder geimpft. Außerdem löst auch die Impfung selbst in vereinzelten Fällen eine bestimmte Form von Polio aus. Solche Fälle gibt es derzeit in 16 afrikanischen Ländern.

Der Erfolg des Polioprogramms sei nicht nur die Ausrottung der Krankheit in Afrika, sagte Pascal Mkanda, der die Poliobekämpfung bei der WHO Afrika leitet. Das Programm sei in Sachen Personal, Infrastruktur und Expertise größer als jedes andere Gesundheitsprogramm auf dem Kontinent. Bereits jetzt werden Helfer, Helferinnen und Infrastruktur für den Kampf gegen das Coronavirus eingesetzt. "Das ist das wahre Erbe des Programms. Das wird bleiben, lange nachdem Polio weltweit ausgerottet wurde."

Bei Poliomyelitis, Kinderlähmung genannt, handelt es sich um eine stark ansteckende Viruserkrankung, die bleibende Lähmungen der Arme und Beine verursachen und sogar zu einer tödlichen Lähmung der Atemmuskulatur führen kann. Infizierte können aber auch symptomlos bleiben und so den Erreger unbemerkt weitertragen.

Früher war Polio weltweit stark verbreitet. Ursprünglich sollte die Erkrankung bis zum Jahr 2000 ausgerottet sein. Durch Impfkampagnen konnte das Virus in den meisten Ländern zwar ausgerottet werden. Es kommt aber immer wieder zu Ausbrüchen wie 2013 in Syrien und vor vier Jahren in Nigeria.

Das Poliovirus wird hauptsächlich über den Stuhl ausgeschieden und durch Schmierinfektionen übertragen. So wird der Erreger beispielsweise durch unsaubere Hände nach dem Toilettengang über Türgriffe weiterverbreitet. Möglich ist auch eine Ansteckung über Tröpfcheninfektion, wenn der Erreger durch Niesen und Husten in die Luft gelangt.

Der beste Schutz ist eine Impfung bereits im Säuglingsalter. Je nach Alter des Kindes und Art des Impfstoffs sind drei bis vier Impfungen nötig. Laut "Kurzbericht Polio" des Gesundheitsministeriums erkrankt von 200 infizierten Personen im Durchschnitt eine klinisch an Poliomyelitis. Die Durchimpfungsrate in Österreich bei einjährigen Kindern erreicht 95 Prozent, sinkt dann aber mit dem Altern und den weiteren Teilimpfungen laut Plan leicht.

Quelle:
Afrika erklärt Polio offiziell als besiegt
(abgerufen am 30.08.2020)