Regenwurmhumus
60 bis 70 Prozent der europäischen Böden sind laut EU−Kommission in einem schlechten Zustand. Wie Landwirtschaft und Bodengesundheit zusammengehen, zeigt ein Biolandwirt aus Niederösterreich. Er setzt auf Regenwürmer und Humusaufbau.
"Dort wo die Regenwürmer sind, sind die Wurzeln", sagt Alfred Grand. Der Landwirt steht in einem eineinhalb Meter tiefen Loch auf seinem Acker im Tullnerfeld. Das Loch zeigt den Bodenaufbau: Rasenkante, dunkler Oberboden, hellerer Unterboden. Doch Grand interessiert sich mehr für das Bodenleben. Pflanzen nutzen bevorzugt Regenwurmröhren, denn sie bieten ihnen Platz zum Wachsen und sind mit nährstoffreichem Regenwurmkot ausgekleidet. "Je mehr Röhren, desto besser die Erträge und die Qualität der Lebensmittel", ist der Biobauer überzeugt.
Schon als Kind faszinierten Alfred Grand die Regenwürmer im elterlichen Gemüsegarten. Über die Kompostierung ist er Jahre später auf Regenwurmhumus gestoßen und begann, damit zu experimentieren. Heute füllen zwei große Holzkisten, jeweils 30 Meter lang und drei Meter tief seinen "Stall" in Absdorf. Greift man in die dunkle, nasse Erde, dann beginnt es zu wuseln. Kleine, rote Würmer wollen zurück ins Dunkle. Kompostwürmer, wie Alfred Grand betont.
Sie sind nicht grau, sondern rot und um einiges kleiner als Regenwürmer. "Diese Kompostwürmer leben eigentlich nicht in der Erde, sondern auf der Erde", erklärt der Landwirt. Dort fressen und verarbeiten sie organische Abfälle und die Pilze und Bakterien, die sich ebenfalls über die Abfälle hermachen. "Und alles, was so dunkel und klein ist, ist fertiger Regenwurmkot."

Am Boden der langen Holzkisten befindet sich ein Stahlgitter. Hier wird der fertige Regenwurmhumus geerntet. Er wird kurz getrocknet, gesiebt, abgepackt und dann verkauft. Einmal die Woche wird gefüttert und neues, organisches Material hinzugefügt. Laut Grand ist seine Wurmkompostanlage die älteste in Europa, die kontinuierlich arbeitet.
Regenwurmkompost ist reich an Mikroorganismen und Nährstoffen. Er eigne sich daher besonders gut, um Böden wieder gesund zu machen, sagt Alfred Grand. Und ein gesunder Boden sei neben Wasser die wichtigste Ressource, nicht nur für die Nahrungsmittelproduktion. Ein humusreicher Boden ist ein guter CO2−Speicher und kann mehr Wasser aufnehmen und dadurch sowohl Starkregenereignisse als auch Dürreperioden besser abpuffern.
Gemeinsam mit Gabriele Berg von der Technischen Universität Graz hat Alfred Grand erforscht, wie Regenwurmkompost Pflanzen bei der Keimung unterstützt. Dafür wurde das Mikrobiom aus dem Kompost isoliert und auf das Saatgut aufgebracht. Es zeigte sich: Die beimpften Samen keimten schneller, entwickelten mehr Wurzeln und wiesen eine bessere Sprossenentwicklung auf. "Das Mikrobiom ist wie eine Werkzeugkiste für die Pflanze", sagt Alfred Grand. Je vielfältiger das Bodenleben, umso besser kann sie sich gegen Schädlinge und Krankheiten wehren und mit Stresssituationen, wie Trockenheit oder Nässe, umgehen.
Über mit Hecken und Bäumen flankierte Feldwege geht es zu Alfred Grands zweitem "Herzensprojekt". Auf einer 0,8 Hektar großen Fläche betreibt er mitten im Tullnerfeld eine Marktgärtnerei. Auf kleiner Fläche baut er hier das ganze Jahr 60 verschiedene Arten und 150 Sorten Gemüse und Kräuter an. Möglich wird das durch schmale Beete, die mit Hand bewirtschaftet werden. "Ich kann viel dichter säen", erklärt der Biobauer. "Müsste ich das mit dem Traktor bearbeiten, könnte ich maximal zwei Karotten−Reihen auf einem Beet unterbringen, mit der Hand schaffe ich fünf Reihen auf einem Beet."
Auf schmalen Beetreihen wachsen verschieden Salate, Radieschen, Karotten und Erbsen. Marktgärtnereien sind mehr als regionale Gemüseproduktion. Sein "Grandgarten" erfülle 12 der 17 UN−Nachhaltigkeitsziele, erzählt Alfred Grand. "Während wir Gemüse produzieren, machen wir gleichzeitig auch Klimaschutz." Da weder Mineraldünger noch Pestizide eingesetzt werden, ist der Fußabdruck der Marktgärtnerei gering. Durch Regenwurmkompost und Mulch wird sogar aktiv Kohlenstoff im Boden gespeichert.
Regelmäßig beproben Studierende verschiedener Universitäten Alfred Grands Äcker. Erst kürzlich wurde im Rahmen einer Masterarbeit festgestellt, dass in seinen Äckern ebenso viele mikroskopisch kleine Lebewesen, sogenannte Protisten, vorhanden sind wie in einem naturbelassenen Boden, erzählt der Landwirt.

Verantwortlich dafür ist unter anderem das Mulchen mit gehäckseltem Luzerne−Heu. Das Mulchmaterial wird von den Regenwürmern, Bakterien und Pilzen im Boden verarbeitet und liefert den Pflanzen in Form von Humus wertvolle Nährstoffe. Zudem schützt es den Boden vor Austrocknung und hilft bei Dürreperioden.
Das Konzept Marktgärtnerei wird in Österreich immer beliebter. "Wir zeigen, dass intensive Landwirtschaft widerstandsfähig und nachhaltig sein kann", sagt Alfred Grand. Das Anbausystem sei auch für landwirtschaftliche Quereinsteiger und Quereinsteigerinnen interessant. Derzeit fehlen jedoch Subventionen und spezielle Ausbildungsprogramme. Und auch die hohen Lohnnebenkosten und die Direktvermarktung seien eine Herausforderung. Eine, die derzeit nur gemeistert werden kann, wenn den Konsumentinnen und Konsumenten ein gesunder Boden auch etwas wert ist.
Quelle:
https://science.orf.at/stories/3230334/
(abgerufen am 29.05.2025)