Hitzestress


Das Blätterdach schützt Waldorganismen vor Temperaturextremen. Eine Studie zeigt: Wird es dichter, verringert sich für die darunter lebenden Organismen die Klimaerwärmung, lichtet es sich, wird es sprunghaft wärmer.

Die Wissenschaftler um Florian Zellweger von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft haben in der nun in "Science" erschienenen Studie erstmals die Klimaerwärmung unter dem Kronendach mit Zahlen belegt. Das Problem ist, dass die Klimaerwärmung vorwiegend in der offenen Landschaft gemessen wird, diese Daten aber für die Waldorganismen nur bedingt aussagekräftig sind. Immerhin lebt ein Großteil aller landlebenden Arten weltweit in Wäldern.

Der Datenfundus stammt aus langfristigen Beobachtungsprogrammen der Baumkronendichte an fast 3.000 Standorten. In die Studie sind auch Vegetationsdaten ab dem Jahr 1993 von dem vom Umweltbundesamt betreuten Langzeit-Ökosystemmonitoring Standort Zöbelboden im Nationalpark Kalkalpen eingeflossen. Die Messdaten wurden im Computermodell mit neuen Temperaturmessungen von 100 Standorten im Inneren von Wäldern kombiniert. Es zeigte sich, dass − wenig überraschend − die Temperatur im Gehölz von der Dichte des Kronendachs abhängig war.

Wird das Kronendach dichter, verringert es für die darunter lebenden Organismen die Klimaerwärmung, lichtet es sich, wird es sprunghaft wärmer. "Das ist wichtig zu wissen, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität im Wald zu verstehen", erklärt Zellweger. Öffnet sich das Kronendach, beispielsweise durch Bewirtschaftung oder Störungen sind Waldpflanzen abrupt einem Klima ausgesetzt, das sie nicht vertragen.

Für die Bewohner von Unterwuchs und Boden ist das fatal, denn jeder Waldorganismus hat laut Zellweger sein Temperaturoptimum, das er nur mit Verzögerung an neue Bedingungen anpassen kann. Wird es heiß, dann werden die Waldbewohner, die Kühle bevorzugen, von Hitze liebenden Arten verdrängt oder ausgerottet und umgekehrt.

Die Baumkronendichte ist demnach entscheidend für die Artenvielfalt. Ein Verlust der schützenden Baumkronen − sei es durch die Natur oder durch Menschen verursacht − bedeutet eine zusätzliche, drastische Erwärmung für die darunter wachsenden Pflanzen, auf die sie schlecht vorbereitet sind. Einige sind mit der Anpassung bereits jetzt im Rückstand, "viele Arten leben in einem zunehmend suboptimalen Temperaturbereich in Bezug auf den globalen Klimawandel".

Angesichts der zu erwartenden Zunahme von sommerlichen Hitzewellen in Europa dürfte dies die Waldbiodiversität verändern und "einzelne Arten in Schwierigkeiten bringen", erklärt Zellweger. Waldbewirtschafter sollten deshalb die Auswirkungen von Forsteingriffen auf die Klimabedingungen im Waldesinnern und deren Einfluss auf die Biodiversität berücksichtigen.

Quelle:
https://science.orf.at/stories/3200768/
(abgerufen am 17.05.2020)