Tunnel statt Fähren


Gerade einmal 51.400 Menschen leben auf den Färöern verteilt auf 18 bergigen, zerklüfteten Inseln. Legendär ist ihre Liebe zum eigenen Auto, die aber auch ein gewisses Straßennetz voraussetzt. Was tun? Die Färinger scheuen weder Mühen noch Kosten und graben Tunnel − auch tief unter dem Atlantik.

Das Straßennetz der Inseln umfasst etwa 960 Kilometer Landstraßen auf 1.400 Quadratkilometern. Pro Färinger sind das 18,7 Meter und damit im weltweiten Ranking Platz 25. Von den 18 Inseln sind 17 bewohnt − zwei davon jeweils von nur einer Familie. Statistisch verfügt jeder Haushalt über einen Pkw. Die hohe Dichte an Pkws auf den Färöern hat jedoch nicht etwa mit einem schlecht ausgebauten öffentlichen Nahverkehr zu tun − es verkehren zahlreiche Fähren und Busse.

In der Hauptstadt Torshavn mit rund 12.500 Einwohnerinnen und Einwohnern sind die Busfahrten sogar kostenlos. Dennoch stehen die Färinger auf ihr eigenes Auto: "Wozu braucht er noch einen Regenmantel? Er hat doch ein Auto", lautet ein Sprichwort über die auffällige Autoliebe der Insulaner. Eine Autotour "Bilturur" ist für viele eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Und für Touristen gehört Inselhopping per Pkw sowieso zu den Topattraktionen.

Verkehrsstaus sind dabei Fehlanzeige: Auf den gesamten Inseln gibt es nur drei Ampeln − alle in Torshavn. Insgesamt 17 Straßentunnel sind derzeit auf den Färöern in Betrieb. Neben zahlreichen Bergtunneln werden jüngst auch ehrgeizige Unterseetunnel realisiert. Ziel der über 40-jährigen konstanten Bautätigkeit ist es nicht nur, die Ballungszentren miteinander zu verbinden, sondern auch kleine Dörfer vor der Entvölkerung zu bewahren.

Drei Unterseetunnel gibt es bereits: Der 4,9 Kilometer lange Vagar-Tunnel, der die Insel Streymoy, wo sich die Hauptstadt Torshavn befindet, mit Vagar und dem Flughafen verbindet, der 6,3 Kilometer lange Norooya-Tunnel, der den Weg zwischen Leirvik auf Eysturoy und Klaksvik auf Borooy verkürzt, und − seit Samstag − der Eysturoy-Tunnel. Dieser neue Tunnel geht aber weit über die bisherigen Projekte hinaus.

Der Eysturoy-Tunnel ist 11,25 Kilometer lang, 10,25 Meter breit, bis zu 187 Meter tief, hat eine Neigung bis zu fünf Prozent, und ist nicht einfach nur ein Tunnel. Denn der Großteil der Strecke besteht zwar in der Unterquerung des Tanga-Fjords, am Ende können Autofahrerinnen und Autofahrer aber wählen, auf welcher Seite des Skala-Fjords sie herauskommen wollen − dafür wurde der angeblich einzige unterseeische Kreisverkehr unter dem Atlantik angelegt.

Der Tunnel verkürzt den Weg von Torshavn nach Runavik oder Strendur auf Eysturoy von 55 Kilometern auf 17 Kilometer bzw. die Reisezeit von rund einer Stunde auf eine Viertelstunde. Bisher gibt es zwischen diesen beiden größten Inseln eine Brücke. Die Finanzierung des Tunnels soll über Mautgebühren stattfinden. Die von der schwedischen Baufirma NCC realisierte Röhre ist mit 260 Millionen Euro das bisher größte Infrastrukturprojekt auf den Färöer. Die Arbeiten begannen im Februar 2017. Es ist der derzeit zweitlängste Unterwasserstraßentunnel der Welt, der nur vom Ryfast-Tunnel in Norwegen übertroffen wird.

Der Kreisverkehr unter dem Atlantik wurde vom färöischen Künstler Trondur Patursson ausgestattet − mit einer Kombination aus Skulpturen und Lichteffekten. Der für die Umsetzung des Bauprojekts verantwortliche Teitur Samuelsen sagte, das Kunstwerk, das wie eine riesige, blau leuchtende Qualle aussieht, symbolisiere den Weg aus der Dunkelheit ins Licht. Es erinnere außerdem an den traditionellen färöischen Tanz, bei dem sich die Menschen an den Händen halten und einen Ring bilden.

Ähnlich wie bei den Auswirkungen der beiden bestehenden Unterwassertunnel wird durch den Eysturoy-Tunnel eine Intensivierung des Verkehrs und ein Impuls für die ökonomische Entwicklung erwartet. Auf der Eysturoy-Seite des Tunnels stiegen die Hauspreise zwischen 2019 und 2020 um 31 Prozent und haben sich zwischen 2015 und 2020 verdoppelt.

Die Färöer gehören zu Dänemark, sind aber seit 1948 autonom, weitestgehend selbstständig und − anders als das dänische Festland − kein Teil der EU. Wichtigster Wirtschaftszweig ist die Fischerei (Hunderte Grindwale werden auf den Färöern jährlich getötet − eine international kritisierte Praxis), doch spielt der Tourismus eine immer bedeutendere Rolle. Trotz der Coronavirus-Pandemie öffneten in diesem Herbst in Torshavn zwei neue Hotels, wodurch die Bettenkapazität der Stadt verdoppelt wurde. Und der Eysturoy-Tunnel mit seinem Unterwasserkreisverkehr soll weitere Touristen anziehen.

Ein ebenso ambitioniertes Vorhaben wie der Eysturoy-Tunnel ist der Sandoy-Tunnel mit 10,8 Kilometern Länge und 157 Metern maximaler Tiefe, der laut Plan 2023 fertig sein soll. Die Insel Sandoy ist bisher nur mit einer Fähre angebunden − mit dem Tunnel nach Streymoy könnten die Bewohnerinnen und Bewohner zeitlich unabhängig die Infrastruktur auf den größeren Inseln nutzen. Und der nächste Tunnel ist schon in Planung: Auch die etwas abseits im Süden gelegene Insel Suduroy mit 4.600 Bewohnerinnen und Bewohnern soll mit einem Unterseetunnel angebunden werden. Der Tunnel wäre mit etwa 22 Kilometern so lang wie die beiden letztgenannten Tunnel zusammen.

Quelle:
https://orf.at/stories/3194123/
(abgerufen am 19.12.2020)