Unterschätzte Vertreibung


Schützt man die Menschen nicht besser vor den Folgen des Erderwärmung, werden sich die Lebensbedingungen von vielen so verschlechtern, dass sie aus ihren Heimatgebieten vertrieben werden. Auch deshalb sollte man der globalen Erwärmung endlich Grenzen setzen, fordert ein internationales Forschungsteam.

Der Klimawandel werde nun in vielen Gebieten auf der ganzen Erde zur systemischen, oft existenziellen Bedrohung, schreiben die Forscherinnen und Forscher im Fachjournal "Science". Dadurch steigen die Meeresspiegel, wodurch küstennahes Land teils im Wasser versinkt. Er bringt oft auch Versalzung und stärkere Erosion der Böden mit sich, was die Ernten mindert. Frischwasser wird dadurch teils zur Mangelware und die Wälder als wichtige Lebens- sowie Wirtschaftsgrundlage kränkeln. Er macht extreme Wetterereignisse häufiger und heftiger, was die Naturgefahren in vielen Gebieten steigert.

Im Vorjahr wurden 20 Millionen Menschen weltweit durch Naturkatastrophen aus ihren Heimatgebieten vertrieben, erklärte Bina Desai vom Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) in Genf (Schweiz) im Gespräch mit der APA. Viele von ihnen konnten danach wieder zurückkehren, aber mindestens sieben Millionen waren am Ende des Jahres noch in "Binnenvertreibung", also im eigenen Land, aber nicht im Heimatgebiet. Das sind so viele Menschen wie in allen österreichischen Bundesländern ausgenommen der Hauptstadt Wien leben.

Das Ausmaß der Vertreibungen durch Klimawandelfolgen würde oft stark unterschätzt und ihre Kosten scheinen nirgendwo direkt auf, sagte Stefan Hochrainer-Stigler vom Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien: "Basierend auf Risikomanagement-Ansätzen sollte man diese Kosten in die nationalen Budgetplanungen geben, dann könnte man besser Maßnahmen planen."

"Durch die Folgen des Klimawandels zusammen mit vielen sozialen, wirtschaftlichen und anderen Entwicklungen wird es in Zukunft viele Fluchtbewegungen von Menschen geben, die wir bisher so nicht gesehen haben", erklärte Desai. Es gäbe zwar aus der Risikoforschung wissenschaftliche Methoden, Dinge wie die Risiken und die am meisten betroffenen Gebiete (Hotspots) zu erfassen, sie würden aber nicht auf Mobilität und Flucht angewendet. Wenn man sie dafür nutzt, könnten sie solidere Grundlagen für Entscheidungsfinder bieten.

Wo es möglich ist, sollte man die "Widerstandsfähigkeit" (Resilienz) der Menschen gegen die vom Klimawandel hervorgerufen und verstärkten Naturkatastrophen steigern, sagte IIASA Forscher Reinhard Mechler. Mit Partnern aus der Wissenschaft, von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung sowie einer Versicherungsgesellschaft (Zurich Versicherung) arbeite man zum Beispiel in Bangladesch und Nepal daran, die Menschen mit Schutzbauten zu versorgen, Frühwarnteams aufzustellen und ihnen zu ermöglichen, finanzielle Rücklagen aufzubauen. "Wir sind mit der Flood Resilience Alliance insgesamt in 250 Gemeinden weltweit aktiv, und wollen zwei Millionen Menschen positiv unterstützen, damit sie mit den hochgradigen Klimawandelfolgen besser zurechtkommen", erklärte er.

In vielen Fällen müsse man aber über eine "viel unfreundlichere Maßnahme", nämlich geplante Umsiedelung reden, meint der Forscher: "Wir schlagen auch vor, dass man zusätzlich über diese unangenehmen Dinge nachdenken muss". Solche Umsiedelungen würden natürlich viel Geld kosten und wären "riesig kompliziert". Trotzdem müsse man Umsiedelungen von Gemeinden planen und umsetzen, wo die Lebensbedingungen sich so verschlechtert haben, dass es keinen Sinn mehr macht, dort auszuharren.

Außerdem müsse vor allem Klimaschutz betrieben werden, so Mechler: "Manches kann dadurch noch verhindert werden, auch wenn in vielen Gebieten die Dinge schon am Laufen sind und Umsiedelungen stattfinden müssen." Werden die Treibhausgase nicht durch ernsthaft umgesetzte Maßnahmen drastisch gesenkt, wird das Risiko für Vertreibung durch Klimawandelfolgen bis zum Ende des Jahrhunderts auf mehr als das Dreifache steigen, wie die Forscher in dem Fachartikel darlegen.

Quelle:
https://science.orf.at/stories/3207196/
(abgerufen am 21.06.2021)