Medicanes


"Medicanes" ist ein Kunstwort, das aus den Begriffen "mediterranean" und "Hurricane" zusammengesetzt ist. Es bezeichnet Sturmtiefs im Mittelmeerraum, die tropischen Wirbelstürmen ähnlich sind.
Der Begriff entstand in den 1980er Jahren, als erstmals Mittelmeertiefs mit Phasen von spiralförmigen Wolkenstrukturen und wolkenfreien Zonen im Zentrum auf Satellitenbildern entdeckt wurden.

Medicanes sehen auf Satellitenbildern wie tropische Wirbelstürme aus:
Um ein zentrales Auge kreist ein Wolkenband gegen den Uhrzeigersinn. Der Kern (das Auge) ist im Vergleich zur Umgebung relativ warm. Hier herrschen absinkende Luftbewegungen, weshalb sich Wolken auflösen.

Im Vergleich zu den tropischen Wirbelstürmen ist der Durchmesser von Medicanes kleiner und beträgt nur wenige hundert Kilometer.
Ein anderer wichtiger Unterschied ist die geringere Höhe. Während tropische Zyklonen bis an die Obergrenze der Atmosphäre reichen, erstrecken sich Medicanes nur bis in die mittlere Atmosphäre.

Zentraler Unterschied zu den tropischen Wirbelstürmen ist aber, dass Medicanes kein sich selbst stabilisierendes oder gar selbstnährendes Wettersystem aufbauen.
Medicanes markieren die Grenze zwischen tropischen und außertropischen Zonen, ihre Vorderseite (Südostflanke) wird von Heißluftmassen der Sahara (Scirocco) angetrieben, ihre Rückseite (Westflanke) von atlantischen oder polaren Kaltluftmassen. Medicanes zerfallen daher in ihrer Struktur meist innerhalb von Stunden wieder zu regulären Tiefdruckwirbeln. Auch die Gesamtlebensdauer liegt mit rund zwei Tagen weit unter jener der Großwirbel der Ozeane.

Die Zugrichtung der Medicanes wird von der Westwinddrift gesteuert und verläuft daher (im Unterschied zur innertropischen Konvergenzzone) nach Osten.
Ferner treten die höchsten Windgeschwindigkeiten bei tropischen Wirbelstürmen im Kern (um das Auge), bei Medicanes jedoch wie bei normalen Sturmtiefs in den spiralförmigen Fronten (bei der Okklusionen von Kalt- und Warmfront) auf.
Allerdings sind auch Medicanes stark genug, um mit Niederschlagsmengen von bis zu 500 l/m2 in 24 Stunden starke Verwüstungen auf kleineren Inseln und an den Küsten des Mittelmeeres anzurichten.

Wichtig für die Entstehung von Medicanes ist der Temperaturgegensatz zwischen der Meeresoberflächentemperatur und der hohen Troposphäre, der mehr als 57 °C betragen sollte. Anders als bei Tropischen Wirbelstürmen sind dabei die kalten Temperaturen in der Höhe entscheidend, weniger die Temperatur der Meeresoberfläche. Medicanes benötigen nicht wie tropische Wirbelstürme eine Wassertemperaturen von mehr als 26 °C - ausreichend sind Temperaturen von über 15 °C.

Die vertikale Temperaturdifferenz, durch die die Luft instabil wird und aufsteigt, wird weniger durch eine Erwärmung des Wassers als durch Eindringen von Kaltluft in der Höhe bestimmt. Die Kaltluft dringt meist als kaltes Höhentief aus höheren Breiten ein. Die aufsteigende Luft kühlt sich ab, es kommt zu Kondensation und Energiefreisetzung, die den weiteren Aufstieg antreibt. Ähnlich wie bei tropischen Wirbelstürmen ist die Freisetzung latenter Wärme im Zentrum des Medicane der Energielieferant, die ständig durch die Verdunstung von Meerwasser nachgeliefert wird.
Weitere Voraussetzungen sind eine hohe relative Feuchtigkeit und ein tiefer Luftdruck am Boden. Der tiefe Luftdruck entsteht zunächst durch ein "normales" Tiefdruckgebiet, dessen tiefer Druck dann im Kern des Wirbels durch die aufsteigenden Luftmassen bis unter 1000 hPa fallen kann.

Medicanes entwickeln sich vorwiegend im Herbst, wenn das Meerwasser noch relativ warm ist und in der oberen Atmosphäre sich bereits Kaltlufteinbrüche aus dem Norden bemerkbar machen – selbst im Winter gibt es aufgrund der Kaltlufteinbrüche mehr Medicanes als im Frühjahr und Sommer.

Regional gibt es die meisten Medicanes im westlichen und zentralen Mittelmeer - mit den beiden Maxima im nordwestlichen Mittelmeer und im Ionischen Meer. Grund für diese Verteilung ist das Eindringen kalter Höhenluft vorwiegend über der westlichen Hälfte des Mittelmeeres.

Zwar wird sich bis zum Ende des 21. Jahrhunderts die Meeresoberflächentemperatur im Winter um bis zu 3 °C erwärmen. Allerdings wird sich auch die Atmosphäre erwärmen, sodass Kaltluft in der Höhe deutlich seltener in die Mittelmeerregion eindringen wird. Dadurch wird sich der vertikale Temperaturgradient verringern und die Häufigkeit der Entstehung von Medicanes verringern.