Bodenversiegelung


Österreichs Böden verschwinden zu zahlreich unter Betondecken. Die Politik scheiterte zuletzt an einer Gegenstrategie. Doch bleibt es dabei, stehen drastische Veränderungen in vielen Bereichen ins Haus, so Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie fordern Obergrenzen, geopolitischen Weitblick und ein Überdenken der Ernährung.

Schon im Regierungsprogramm im Jahr 2002 − also vor über 20 Jahren − stand bereits im Zielwert für die Bodenversiegelung in Österreich fest: Nicht mehr als 2,5 Hektar am Tag sollten es bis 2030 sein. Derzeit werden in Österreich täglich über elf Hektar versiegelt, das entspricht einer Fläche von 16 Fußballfeldern.

Um das Problem anzugehen, sollte eine neue Bodenschutzstrategie her, doch die Bundesregierung scheiterte Ende Juni daran. Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) sagte am Donnerstag im Ö1−Morgenjournal, man wolle mit dem grünen Koalitionspartner im Herbst einen neuen Anlauf samt Finalisierung schaffen. Damit reiht sich die Bodenschutzstrategie neben dem Klimaschutzgesetz und anderen in die Liste der Vorhaben ein, die weiter auf sich warten lassen.

Der enorme Flächenfraß ist hochproblematisch. Ist Boden einmal versiegelt, kann er kaum mehr naturiert werden. Der Großteil der Fläche geht für Bauflächen drauf. Nicht nur spielt der Bodenverbrauch in der Klimakrise eine zentrale Rolle, seinetwegen fehlen auf Dauer auch landwirtschaftlich nutzbare Böden, die die Ernährungssicherheit der Bevölkerung herstellen.

Global habe sich die Ernährungssituation in den vergangenen Jahren durch die Pandemie und den Ukraine−Krieg verschärft, sagte am Donnerstag Martin Gerzabek vom Institut für Bodenforschung der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien in einem Pressegespräch der Wissenschaftsplattform Diskurs gemeinsam mit den "Scientists for Future". Auch Österreich sei schon jetzt bei etlichen Lebensmitteln nicht mehr in der Lage, sich etwa in Krisenzeiten selbst zu versorgen. So liegt der Selbstversorgungsgrad etwa bei Obst bei 48 Prozent. Die Hälfte muss also importiert werden.

Die Klimakrise verschärfe die Situation zusätzlich: "Bis zirka 2050 wird es laut einer Studie zu einer klimabedingten Abnahme der Bodenfruchtbarkeit in ganz Österreich um durchschnittlich 19 Prozent kommen", so Gerzabek.

Besonders stark betroffen sei das Flach− und Hügelland im Osten, wo sich die ertragreichsten Ackerböden befinden. "Dort ist aufgrund der zunehmenden Trockenheit eine Abnahme der Fruchtbarkeit um 48 Prozent bis 2065 prognostiziert", so der Forscher. In Summe werde Österreich ein Drittel der landwirtschaftlichen Produktivität verlieren.

Europa wäre der große Verlierer dieser Entwicklung bis zum Ende des Jahrhunderts, während in Russland und China die nutzbaren Flächen wachsen. Grund dafür sei etwa das Auftauen des Permafrostbodens, der dann auch für die Getreideproduktion verwertbar sei. "Man kann sich vorstellen, wer dann das Sagen haben wird", so Gerzabek.

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"Das können wir uns nicht leisten, der Boden wird sich nicht ausgehen", so Gerzabek. Man müsse die Landwirtschaft neu denken, etwa neue Kulturarten wie Hirse etablieren. Fruchtbare Böden müssten vorrangig für landwirtschaftliche Zwecke genutzt werden. "Wir brauchen hier ganz dringend entsprechende Strategien." Minister Totschnig äußere sich ablehnend zum EU−Renaturierungsgesetz, weil man dadurch landwirtschaftliche Flächen einbüße, so Gerzabek. Doch solle man sich zunächst vorrangig darum sorgen, dass man Flächen spare, indem man sie nicht zubetoniert.

Auch Martin Schlatzer vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in Wien sprach sich dafür aus, Landwirtschaft und Gewohnheiten einer Prüfung zu unterziehen. Die verbleibenden Böden solle man vermehrt für den Anbau von Lebens− statt Futtermitteln gebrauchen. "Mehr als die Hälfte der Ackerflächen in Österreich werden derzeit für die Futtermittelproduktion verwendet." Dazu müssten sich die Menschen hierzulande beim Fleischverzehr einschränken, so der Appell.

Wenn omnivor lebende Menschen, also Fleischesser, ihren Fleischkonsum um zwei Drittel reduzierten − wie auch die Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE) empfiehlt −, ließe der Druck auf die Flächenverfügbarkeit nach. Dadurch würde Österreich rund 140.000 Hektar an Fläche einsparen, im Ernährungssektor fiele der CO2−Ausstoß um 28 Prozent. Zudem würde das Land dann um 64 Mio. Nutztiere weniger brauchen, ganz abgesehen von den positiven gesundheitlichen Auswirkungen auf die und den Einzelnen, so Schlatzer.

Bei ovolaktovegetarischer Ernährung (vegetarisch mit tierischen Produkten) stünden unterm Strich 637.000 Hektar frei gewordene Nutzfläche und 48 Prozent eingespartes CO2. Bei rein veganer Ernährung kommt Schlatzer auf über 1.777.000 Hektar mehr an verfügbarer Fläche, die CO2−Einsparung läge bei 70 Prozent.

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Bei einem Verzicht von einem Viertel des derzeitigen Fleischkonsums könnte Österreich zudem die Sojafuttermittelimporte gänzlich streichen und durch einheimische Alternativen ersetzen − ganz ohne zusätzlichen Flächenverbrauch.

Die Juristin Leonore Theuer forderte angesichts des hohen Bodenverbrauchs und dessen Folgen eine rechtliche Obergrenze. Bund und Länder sollten bindend vereinbaren, den Bodenverbrauch rasch auf 2,5 Hektar pro Tag zu begrenzen und spätestens ab 2050 nur so viel zu verbauen, wie anderswo renaturiert wird, so Theuer, die der Fachgruppe Politik und Recht der "Scientists for Future" angehört.

Derzeit sei Bodenschutz in Österreich eine "Querschnittsmaterie", das heißt, die Zuständigkeiten sind auf Bund, Länder und Gemeinden aufgeteilt. So ist etwa der Bund für Autobahnen zuständig, die Länder für Raumplanung und Baurecht und die Gemeinden für Flächenwidmung. "Dies führt zu einer Zersplitterung der Regelungen und mangelnder Kooperation", sagte Theuer. "Auch gehen oft örtliche gegenüber überregionalen Interessen vor."

Eine rasche, bindende Vereinbarung zwischen Bund und Ländern solle den Bodenverbrauch senken, eine strategische Raumplanung geschaffen und die Umwidmungsmöglichkeiten zu Bauland beschränkt werden. Die Gemeinden sollten zudem bei der Flächenwidmung stärker in die Pflicht genommen werden, sodass sie ihre Siedlungsflächen begrenzen. Es müsse eine "Kompetenzverschiebung von Gemeinden zu Ländern" stattfinden.

Durch Leerstands− und Versiegelungsabgaben solle man den Bodenverbrauch teurer machen, und umgekehrt durch Entsiegelungsprämien die Rückführung von Bau− in Grünland begünstigen. Zudem sprach sich Theuer dafür aus, Bodenversiegelung als Faktor in Umweltverträglichkeitsprüfungen aufzunehmen.

Quelle:
https://orf.at/stories/3323765/
(abgerufen am 13.07.2023)