Stockende Erholung


Verglichen mit den 1960er Jahren sind die Flüsse in Europa heute deutlich sauberer, auch die Artenvielfalt hat sich wieder erhöht. Doch laut einer neuen Studie stockt diese Entwicklung seit rund zehn Jahren − neue Maßnahmen wären nötig.

"Unsere Daten zeigen, dass sich Flüsse durchaus erholen können, wenn wir als Gesellschaft die richtigen Maßnahmen umsetzen", erklärte die deutsche Wasserökologin und Studienautorin Sonja Jähnig. "Allerdings haben wir seit 2010 beim Zustand der Artenvielfalt kaum noch Fortschritte erzielt, sodass es heute zusätzlicher Anstrengungen bedarf."

Für die soeben in der Fachzeitschrift "Nature" erschienene Studie hat ein internationales Team, an dem auch Fachleute der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien beteiligt war, die Entwicklung der Artenvielfalt von wirbellosen Tieren nachverfolgt. Und zwar von 1968 bis 2020 in Flüssen von 22 europäischen Ländern, darunter auch Österreich.

Wirbellose Tiere wie Krebse, Muscheln, Libellen, Eintags−, Stein− und Köcherfliegen erfüllen wichtige Aufgaben in den Ökosystemen. Neben ihrer Funktion als Wasserreiniger "dienen sie als wichtige Indikatoren für den Zustand unserer Süßgewässer", so Studienmitautorin Astrid Schmidt−Kloiber vom Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement der BOKU.

Die Auswertungen zeigen, dass die Artenvielfalt mehr als 50 Jahre lang deutlich angestiegen ist. "Diese Zuwächse traten jedoch hauptsächlich vor 2010 auf und haben sich seitdem leider auf einem mehr oder weniger gleichbleibenden Niveau eingependelt", sagte Erstautor Peter Haase vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt.

Die Zunahme der biologischen Vielfalt in den 1990er und 2000er Jahren sei wahrscheinlich auf "die Wirksamkeit von Wasserqualitätsverbesserungen und Renaturierungsprojekten" zurückzuführen, so Haase. Die anschließende Stagnation deute "auf eine Erschöpfung der bisherigen Maßnahmen hin".

Binnengewässer sind durch Landwirtschaft und Städte Belastungen ausgesetzt, etwa durch Schadstoffe, Abwässer und Pestizide. Als Reaktion auf den schlechten Zustand der Gewässer in den 1950er und 1960er Jahren waren Gegenmaßnahmen ergriffen worden, etwa mit der EU−Wasserrahmenrichtlinie.

"Diese Maßnahmen führten zu einem deutlichen Rückgang der organischen Verschmutzung und der Versauerung ab etwa 1980", erklärte die Studienmitautorin Ellen Welti vom Smithsonian´s Conservation Ecology Center in den USA. Nun aber nähmen die "Stressfaktoren" wieder zu. "Die biologische Qualität der Flüsse ist nach wie vor vielerorts unzureichend."

Damit es wieder zu einer positiven Entwicklung kommt, seien neue Maßnahmen erforderlich, so die Fachleute. Für Österreich sehen sie mehrere Felder für Verbesserungen: So würde die Renaturierung von Auengebieten bzw. der Rückbau von nicht mehr benötigten Querbauwerken in Bächen und Flüssen der Artenvielfalt weiter auf die Sprünge helfen.

In stark landwirtschaftlich geprägten Gebieten hierzulande sollte stärker darauf geachtet werden, dass Dünge− und Spritzmittel möglichst nicht in die Gewässer gelangen. Über Wasserkraftwerke, die die Ökosysteme stark beeinträchtigen, sollte intensiv nachgedacht werden, und nicht zuletzt müssten eingewanderte Arten genau beobachtet werden, die in den heimischen Gewässern zunehmend negative Entwicklungen mit sich bringen, erklärten die Fachleute, die sich überdies ein deutlich genaueres "langfristiges, spezifisches auf Süßgewässer ausgerichtetes Biodiversitätsmonitoring" in Österreich wünschen.

Quelle:
https://science.orf.at/stories/3220689/
(abgerufen am 11.08.2023)