Filialdichte


Oft merkt man erst im Ausland, dass Österreich neben vielen anderen eine spezielle Eigenschaft hat: Kaum wo gibt es derart viele Supermarktfilialen. Die Dichte auf 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner ist doppelt so groß wie in Deutschland. Das hängt mit historischen Ursachen zusammen, die heute noch Auswirkungen haben. Ein Streitpunkt ist, ob auch die aktuelle Teuerung damit zusammenhängt.

In Linz beginnt´s tatsächlich manchmal, zumindest die Geschichte der Supermärkte in Österreich. In der oberösterreichischen Landeshauptstadt öffnete 1950 die erste Dependance der Konsumgenossenschaft. "Selbstbedienung spart Zeit", so der Slogan, der auch vollinhaltlich in die Zeit der Wirtschaftswunderjahre passte. Schnelles Einkaufen, schnelles Geldausgeben, schnelles Wachstum.

Eine Supermarkteröffnung in den 1950ern war ein Spektakel, Politiker und Funktionäre (Gendern unnötig) durchschnitten bereitwillig Schleifen und gaben dem Rundfunk Interviews über den Fortschritt im Handel und der Welt.

Heute ist eine solche Eröffnung kein Straßenfeger mehr, das wäre angesichts der großen Anzahl an Lebensmittelgeschäften im Land allzu zeitraubend. Österreich weist mit 50 Stück je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner eine ungewöhnlich hohe Dichte auf − doppelt so viele wie etwa in Deutschland. Die großen Player sind bekannt: Konsum, Zielpunkt, Meinl, Löwa und Schlecker gingen ein, heute teilen sich Spar, REWE, Hofer und Lidl mehr als 90 Prozent des heimischen Marktes.

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Spar hat in Österreich 1.500 Standorte, etwa die Hälfte sind Spar, Eurospar und Interspar−Filialen. Die andere Hälfte wird von selbstständigen "Spar−Kaufleuten", ähnlich Franchise−Partnern, betrieben. REWE führt mit Billa, Penny und ADEG österreichweit 2.600 Filialen, rund 1.300 davon sind Billa und Billa Plus (früher Merkur). Hofer zählt mehr als 530 Filialen, Lidl über 250 Filialen, wie die Unternehmen gegenüber ORF.at mitteilten.

Nach der Ouvertüre durch Konsum tauchte bald das heute als Billa bekannte Unternehmen auf der Bildfläche im Osten Österreichs auf, etwas später Spar im Westen. Aldi Süd brachte mit Hofer 1968 das Discounter−Konzept nach Österreich, Lidl fasste erst in den 1990er Jahren Fuß im Land.

Die Unternehmen etablierten sich über die Jahrzehnte und übernahmen zunehmend kleinere Geschäfte und Greißler, so Josef Baumgartner vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) zu ORF.at. Anfangs sei man dort gewachsen, wo die Konkurrenz schwächer war. Darüber hinaus öffneten Filialen auch deshalb an bestimmten Standorten, um aktiv in die Konkurrenz einzusteigen. "Dass sich die Situation über viele Jahre nun schon so hält, liegt daran, dass keiner zuerst eine Filiale schließen will, weil man dann das Feld der Konkurrenz überlässt", so Baumgartner.

Bemerkenswert ist, dass die Verkaufsflächen im Einzelhandel seit zehn Jahren langsam, aber stetig zurückgehen. Inzwischen sind es relativ gesehen nicht die Großstädte, sondern viele mittelgroße Städte, die über überproportional viele Verkaufsflächen verfügen, wie das Marktanalyseunternehmen RegioData herausgefunden hat. Demnach verfügt unter den Städten mit über 25.000 Einwohnerinnen und Einwohnern Wiener Neustadt mit knapp sieben Quadratmetern pro Einwohner bzw. Einwohnerin über die höchste Flächendichte im ganzen Land, in Wien sind es etwas weniger als zwei Quadratmeter.

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Ganz allgemein konkurrieren Supermärkte über verschiedene Parameter miteinander, die Filialdichte ist einer davon, wie Christian Reiner von der Lauder Business School gegenüber ORF.at erklärte. Eine höhere Dichte werde mit mehr Wettbewerb assoziiert, weil mehr Auswahl besteht. Das hänge allerdings vom konkreten räumlichen Standortmuster ab, ist also von Land zu Land unterschiedlich. Hat sich der Wettbewerb über das Filialnetz einmal etabliert, sei es für die Teilnehmenden schwierig, wieder auszusteigen.

Auch könnten die Konsumentinnen und Konsumenten schlicht eine höhere Präferenz für die Nahversorgung haben als in anderen Ländern, so Reiner. Sie seien daher eher bereit, mehr für dezentral angebotene Waren zu zahlen, und die Supermärkte reagieren auf diese Zahlungsbereitschaft mit einer hohen Filialdichte.

Zudem sind strukturelle Ursachen ausschlaggebend. Österreich verfüge etwa über weniger Einwohnerinnen und Einwohner als Bayern, aber über mehr Gemeinden. Auch dort wolle die Politik Nahversorgung anbieten, um Abwanderung zu verhindern. Dementsprechend gibt es in Österreich ein Gesetz zur Sicherung der Nahversorgung auf Bundesebene, einzelne Bundesländer haben zudem eigene Fördermaßnahmen. So können auch Filialen in peripheren Zonen leichter entstehen und zum dichten Netz beitragen. Auch spielten Tourismus und der mangelnde Wettbewerb über Öffnungszeiten eine Rolle.

Viel war zuletzt die Rede von den deutlich höheren Lebensmittelpreisen in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern. Von bis zu 15 Prozent Unterschied zu Deutschland war die Rede, untermauert durch eine Erhebung der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Preismonitor der Arbeiterkammer (AK). Teilweise gab es beträchtliche Preisunterschiede bei denselben Produkten, nur abhängig von der jeweiligen Seite der Grenze.

Aufhorchen ließ daraufhin REWE−Chef Marcel Haraszti in der ZIB2: Er argumentierte damit, dass die hohe Dichte an Lebensmittelgeschäften ein Grund für die Preissituation sei. "Wir haben höhere Logistikkosten, weil wir einfach mehr Standorte andienen und dann haben wir auch deutlich höhere Lohnnebenkosten." Hinzu kämen "noch andere Themen wie Wirtschaftskammer−Beitrag und so, den es auch in Deutschland nicht gibt", so Haraszti im Juli.

Prinzipiell betonen alle vier Ketten (REWE, Spar, Lidl und Hofer) auf Nachfrage, dass das dichte Filialnetz überall Nahversorgung und Versorgungssicherheit gewährleiste und alle Preissenkungen sofort an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergegeben würden. Haraszti etwa verwies auf große Preissprünge bei den Lieferantinnen und Lieferanten, denen man ausgeliefert sei. Man verhandle mit Giganten wie Unilever und Nestle, die Umsatzrenditen von 15 Prozent hätten, während es beim Handel 0,5 bis 1,5 Prozent seien.

Gegenüber ORF.at hieß es von REWE, die Preise für Strom, Gas, Treib− und Rohstoffe sowie Verpackungen seien explodiert, als Unternehmen mit hohem Kühlbedarf, viel Logistik, großen Lkw−Flotten und eigenen Produktionsbetrieben merke man das. Aber seit Jahresbeginn habe man 700 Produkte preisgesenkt.

Bei Spar hieß es, die Debatte über einen Zusammenhang zwischen Filialdichte und Preisen sei konstruiert, "weil die Politik und die Medien unbedingt einen Schuldigen wollten. In Wahrheit hat das ganz andere Ursachen", etwa die hohen Energie− und Rohstoffpreise, bedingt durch den Ukraine−Krieg, hohe Personalkosten und pandemiebedingte Lieferverzögerungen. "Das hat alles nichts mit den Supermarkt−Standorten zu tun. Gar nichts", so Spar.

Auch der Handelsverband betonte wiederholt diese Argumente. Zudem habe die Regierung zwar die Industrie unterstützt, den Handel aber nicht. Die Energieversorger würden zudem ihrerseits Preissenkungen nicht weitergeben. Die Händlerinnen und Händler bereicherten sich nicht an der Teuerung, im Gegenteil, der Handel wirke inflationsdämpfend, so Handelsverband−Geschäftsführer Rainer Will in Aussendungen.

Ein weiteres Argument von Handelsseite ist, dass der Wettbewerb gerade durch die hohe Dichte angekurbelt werde. Kein Händler könne Preise erhöhen, weil er sonst Kundinnen und Kunden verlieren würde. Unter Ökonominnen und Ökonomen ist diese Sichtweise allerdings umstritten, denn die starke Marktkonzentration in Österreich könne auch zum Gegenteil führen.

Baumgartner vom WIFO sah die aktuelle Preisentwicklung von der aktuellen Inflation unabhängig. Das Preisniveau sei in Österreich generell höher, und das schon seit Langem. "Bei einer hohen Filialdichte sind natürlich die Fixkosten höher", etwa Löhne und Mieten. "Hinzu kommt auch im ländlichen Raum, etwa in alpinen Regionen, dass die Logistik schwierig ist. Dort fahren die Lkws lange Strecken voll beladen hin und leer wieder zurück, während man in geeigneten Gebieten, im urbanen Raum, solche Logistikketten kreisförmig fahren kann. Bei hohen Treibstoffpreisen trägt das auch dazu bei."

In Österreich betrage zudem die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel zehn Prozent, in Deutschland sieben. In Österreich sei die Teuerung bei Lebensmitteln sogar niedriger als in Deutschland gewesen. "Allerdings startet Österreich hier eben von einem hohen Niveau", so Baumgartner.

Quelle:
https://orf.at/stories/3325285/
(abgerufen am 14.08.2023)