Schilf statt Kartoffeln


Moore sind gute Klimaschützer, solange sie nass sind. Werden sie entwässert und als Äcker oder Grasland genutzt, stoßen sie Treibhausgase aus. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen diese Flächen zukünftig nass bewirtschaftet werden, etwa indem Schilf oder Rohrkolben angebaut werden − statt Kartoffeln und Getreide.

Moore sind einzigartige Ökosysteme zwischen Wasser und Land. Gespeist durch Regen− oder Grundwasser, steht das Wasser in einem intakten Moor so hoch, dass abgestorbenes Pflanzenmaterial nicht vollständig zersetzt werden kann und Torf entsteht. Schicht um Schicht wächst in einem intakten Moor der Torf und speichert Kohlenstoff.

Jahrhundertelang wurden Moore trockengelegt, um Platz für Siedlungen, Wälder und Wiesen zu schaffen. Entzieht man Moorböden das Wasser, kommt Sauerstoff in den Boden, der Torf wird zersetzt und das Treibhausgas CO2 entsteht.

90 Prozent der österreichischen Moore sind mittlerweile geschädigt und zu unterschiedlichen Graden entwässert. Der Großteil liegt begraben unter Äckern und Wiesen und ist für das ungeübte Auge nicht erkennbar − ein großes Klimaproblem. Denn Moore, die als Ackerflächen genutzt werden, emittieren pro Hektar und Jahr rund 40 Tonnen CO2−Äquivalente.

In der Nähe von Innsbruck, zwischen dem Dorf Vill und dem Lanser See war einst das Viller Moor. Im 13. Jahrhundert wurde das Moor aufgestaut, um es als See zu nutzen. Später wurde die Fläche entwässert, um sie landwirtschaftlich zu kultivieren. Heute sieht man den nährstoffreichen Wiesen, die drei Mal im Jahr gemäht werden, ihre Moorvergangenheit nicht mehr an.

Um die Wiesen als ehemalige Moorflächen zu identifizieren, braucht es den Blick in den Boden, sagt Clemens Geitner von der Universität Innsbruck und lässt seinen 70 Zentimeter langen, schmalen Bodenbohrer mit erstaunlicher Leichtigkeit in die Wiese gleiten. Bereits daran merke man, dass man es mit einem Torfboden zu tun habe, meint der Geograf. In einen klassischen Erdboden käme man nicht so leicht hinein.

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"Das Bild ist eindeutig", sagt der Forscher als er die Bodenprobe begutachtet. "Wir haben dunkelbraunes, schwarzes Material." Während die oberen 30, 40 Zentimeter trocken und mineralisch sind, ist die restliche Hälfte feucht und besteht aus strukturlosem, humosem Material − Torf.

Moore und Torf sind unweigerlich miteinander verknüpft. Der Weltklimarat IPCC definiert Moore als Flächen, die von organischen Böden bedeckt sind; ungeachtet wie sie genutzt werden. Clemens Geitner ist da strenger: "Von einem Moor sollte man nur sprechen, wenn das Ökosystem intakt ist." Wenn es also nass ist und die spezifische Moorvegetation wie Torfmoose oder Sauergräser ständig CO2 binden und neuen Torf bilden. Wird Torf nicht auf−, sondern abgebaut, da die Fläche trockengelegt wurde, dann handle es sich genau genommen nicht mehr um ein Moor, sondern um einen Torfboden.

"Die Nutzung von Torfböden als Grünland ist eine nicht angepasste, aber typische Nutzung", sagt der Forscher. Allein in Tirol würden rund 90 Prozent der ehemaligen Moorflächen heute nur noch in Form von Torfböden bestehen.

"In der EU setzen Moorflächen in landwirtschaftlicher Nutzung etwa ein Viertel der Treibhausgase frei, die aufs Konto der Landwirtschaft gehen", erklärt Franziska Tanneberger, die das Greifswald Moor Centrum in Deutschland leitet. Hier anzusetzen, sei ein großer Hebel für den Klimaschutz, meint die Forscherin. Denn nur drei Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in der EU bestehen aus Torfböden. Wird dieser kleine Teil anders als bisher genutzt, hätte das nur geringe Folgen für die Ernährungssicherheit, jedoch eine große Wirkung für den Klimaschutz.

Besonders klimaschädlich ist die Nutzung von ehemaligen Moorböden für den Ackerbau. Da dabei die obersten Erdschichten umgegraben werden, muss die Fläche relativ stark entwässert werden. Aus Klimasicht besser ist die Nutzung als Grünland. Denn eine Grünlandnutzung erlaubt höhere Wasserstände. Damit der Torfkörper erhalten bleibt und nicht weiter abgebaut wird, darf der Wasserstand im Sommer jedoch maximal 20 Zentimeter unter die Oberfläche fallen. Bei solch einem Wasserstand ist weder eine Grünland− noch eine Ackernutzung im herkömmlichen Sinne möglich.

Derzeit sind entwässerte Moore für vier Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Nach Indonesien ist die EU der zweitgrößte Emittent von Treibhausgasen aus Mooren, sagt Franziska Tanneberger. "Wenn wir treibhausgasneutral sein wollen, müssen wir die CO2−Emissionen runterbringen. Und das bedeutet, dass wir nahezu die gesamten Moorflächen wiedervernässen müssen."

Nicht alle Moorflächen wird man wieder renaturieren, also in ihren ursprünglichen Zustand versetzen können, sagt die Moorökologin. Dafür sind viele Flächen schon zu stark degradiert. Zudem müssen ein höherer Wasserstand und eine landwirtschaftliche Nutzung einander nicht ausschließen. Seit den 1990er Jahren gibt es dafür den Begriff der Paludikultur, von lateinisch palus, der Sumpf.

Manche dieser nassen Bewirtschaftungsformen sind seit Jahrhunderten erprobt, wie etwa der Anbau von Schilf, um damit Hausdächer zu decken. Mit anderen Formen wird derzeit in Deutschland experimentiert. Es wird beispielsweise Torfmoosfrischmasse angebaut, um diese als Ersatz für Torf in Blumenerde zu nutzen. Andere Ideen sind der Anbau von Sonnentau als Heilpflanze oder von Rohrkolben als Dämmmaterial.

Es gebe Landwirtinnen und Landwirte, die sich auf die nasse Bewirtschaftung einlassen würden, meint Franziska Tanneberger. Sie brauchen aber fixe Abnehmer für ihre Biomasse. Umgekehrt würden Industriebetriebe nur auf die Produktion neuer Produkte, wie Verpackungsmaterialien aus Rohrkolben, umsteigen, wenn sie verlässlich Rohmaterial bekommen. Derzeit ein Henne−Ei−Problem, das der Marktmechanismus allein nicht lösen wird können, denkt die Forscherin. "Es braucht hier auch eine gewisse staatliche Unterstützung."

Der Staat müsse Förderprogramme auflegen und den Landwirtinnen und Landwirten Angebote für Wertschöpfungsketten unterbreiten, betont auch Clemens Geitner. Denn der Umstieg auf nasse Landwirtschaft könne nur gemeinsam mit den Landwirtinnen und Landwirten gelingen.

In einem ersten Schritt müsse man für Österreich aber erst einmal herausfinden, wo sich die Torfböden unter landwirtschaftlicher Nutzung befinden, sagt der Geograf. Er hat das Viller Moor kartiert, um herauszufinden, welche bereits vorhandenen Daten am brauchbarsten sind, um Torfböden zu identifizieren. Am hilfreichsten ist laut Clemens Geitner die Bodenschätzung des Finanzministeriums. Dabei wird parzellenscharf und mit Bohrstock die Bodenqualität erhoben. Mit Hilfe dieses Datensatzes ließen sich die großen Flächen identifizieren. Ist das gelungen, dann müsse man anschließend analysieren, wie die Besitzverhältnisse aussehen und ob und wie man die Flächen wiedervernässen könnte.

Quelle:
https://science.orf.at/stories/3220812/
(abgerufen am 22.08.2023)