Beispiellos


Die derzeit steigenden Meerestemperaturen haben bei Forschenden zunehmend Sorgen über den Zustand der globalen Korallenriffe ausgelöst. Als "beispiellos" gilt ihr Rückgang etwa im US−amerikanischen Florida. Denn die hohen Temperaturen im Mittelmeer und im Atlantik setzen ganze Meeresökosysteme unter Stress. Ihr Verlust wäre nicht nur für die Gesundheit der Ozeane, sondern auch für Menschen verheerend. Das Wetterphänomen "El Nino" könnte die Bleiche weiter beschleunigen.

Korallen sind Nesseltiere, die mit Algen in einer Gemeinschaft zum gegenseitigen Nutzen leben. Die Mikroalgen betreiben Photosynthese, versorgen die Korallen mit Nährstoffen und geben ihnen ihre Farbe. Ist die Wassertemperatur für längere Zeit höher als in dem Gebiet üblich, trennen sie sich von den Algen, die in ihnen leben.

Es kommt zur gefürchteten Bleiche, dem Verblassen der farbenprächtigen Steinkorallen. Das hat Folgen für ganze Ökosysteme: Korallenriffe bedecken zwar weniger als ein Prozent der Meeresböden, beherbergen und ernähren aber rund ein Viertel des marinen Lebens wie Würmer, Schwämme, Weich− und Krebstiere. Von ihnen ernähren sich wiederum zahlreiche Fischarten. Ein weißes Kalkskelett bietet für sie weder Nahrung noch Schutz.

Beispiellos 01

"Heißes Wasser ist für alle Meeresorganismen schlecht, egal ob Korallen, Fische oder Hummer. Deshalb laufen wir Gefahr, dass es zum Massensterben von Fischen, Meeresschildkröten und Ähnlichem kommen wird", sagt Alex Neufeld, Projektkoordinator einer Stiftung zur Rettung von Korallen. Ein Rückgang der Korallen spielt auch für die Klimakipppunkte eine große Rolle. Diese drastischen Klimaveränderungen könnten ab einem gewissen Punkt zu unaufhaltsamen Kettenreaktionen führen, durch die sich die Erderwärmung unkontrollierbar verstärken würde.

Beispiellos 02

Besonders akut ist die Bedrohung der Korallen derzeit im Golf von Mexiko, wo die Oberflächentemperaturen deutlich über 30 Grad liegen und somit im Schnitt zwei bis drei Grad höher sind als gewöhnlich um diese Jahreszeit. Derartige "marine Hitzewellen" begünstigen Phänomenen wie die Korallenbleiche und das Absterben von Seegraswiesen.

Bereits jetzt gilt der Verlust der gesunden Korallen seit den späten 1970er Jahren in den Florida Keys als "beispiellos". In dem südöstlichsten Bundesstaat der USA sei daher "ein Wettlauf um die Rettung der Korallen im Gange", schrieb der britische "Guardian". Zahlreiche Organisationen zur Rettung von Meereslebewesen und die US−Behörde für Ozeanografie− und Atmosphärenforschung (NOAA) hätten sich in den letzten Wochen zusammengetan, um etwa Proben von verschiedenen Korallen in kühlere Meerwasserbecken an Land zu bringen.

Auch in der Karibik setzen sich zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse für den Erhalt der Korallenriffe ein. "Unsere Gemeinschaft arbeitet mit Ozeanologen zusammen, sie sind unsere besten Verbündeten", berichtete etwa die Leiterin eines Ecohostels auf Isla Grande, einer Karibik−Küste in Kolumbien. Im Rahmen eines Forschungsprojekt der Universität Miami würden sie den Korallen Elektrizität injizieren und ihnen damit beim Wachsen helfen.

Beispiellos 03

"Wir haben auch einen mexikanischen Künstler gefunden, der eine korallenförmige Struktur aus Plastikkeramik erschaffen hat − mit Elektrizitätskabeln und einem eigenen Motor." Die Wissenschaftler hätten sie zudem mit der Technologie des Transplantierens vertraut gemacht. Fast täglich schnorchle sie mit Mitarbeitern und Gästen des Hostels auf das Riff hinaus. "Wir suchen gesunde Kolonien und nehmen Fragmente, einen Ast zum Beispiel. Dann kümmern wir uns ein Jahr um diese Fragmente, indem wir sie von schädlichen Algen reinigen − mit Zahnbürsten."

Wenn die Kolonien gut gedeihen würden, würden sie im Anschluss Orte suchen, um die Transplantation durchzuführen. "Dann transplantieren wir und beobachten, was passiert. Wir sind damit relativ erfolgreich und hoffnungsvoll." Overtourism und Überfischung seien allerdings Probleme, für die noch das Bewusstsein fehle. "Es gibt keine Kontrollen, keine Bildung. Ich habe aufgehört, gemeinsam mit der Regierung zu arbeiten, wir machen alles selbst."

Prinzipiell können sich Korallen durch derartige Maßnahmen langfristig wieder von Ereignissen wie "marinen Hitzewellen" erholen, wenn die Temperaturen nicht zu extrem sind. Riffexperten befürchten allerdings, dass "El Nino" das Risiko einer weiteren Massenbleiche in den nächsten Monaten erhöhen könnte. Das Wetterphänomen, das alle zwei bis sieben Jahre auftritt und die globalen Temperaturen zusätzlich erhöhen kann, setzte im Juni ein und ist durch eine Erwärmung des Oberflächenwassers im tropischen Pazifik gekennzeichnet.

Beispiellos 04

Seinen Höhepunkt erreicht es gegen Jahresende. Bei extrem hohen Temperaturen kann es vorkommen, dass Korallen plötzlich − ohne langsame Bleiche − durch den Hitzestress absterben. Das ist teilweise während des "El Nino"−Sommers 2016 am Great Barrier Reef vor Australien geschehen. Damals ging fast ein Drittel der Korallenbedeckung des Riffs verloren.

Beispiellos 05

Die Bleiche von 2022 − die vierte in sieben Jahren − hätte bereits an einigen Riffen zu einem "gewissen Korallenverlust geführt", heißt es in einem Bericht des Australian Institute of Marine Science (AIMS). Es sei zudem wahrscheinlich, dass jene Korallen, die die Bleiche überlebt hätten, durch vermindertes Wachstum und Reproduktion beeinträchtigt wurden.

Ein Verlust der Riffe habe auch wirtschaftliche Folgen, schrieb die "Frankfurter Rundschau". Denn die Fische aus den Korallenriffen würden Nahrung für Millionen Küstenbewohner und einen wichtigen Schutz vor Stürmen bieten, vor allem für kleine Inselstaaten im Pazifik. Auch die finanziellen Schäden durch Überschwemmungen und Stürme in betroffenen Küstenregionen könnten sich bis zu verdreifachen.

Auch der Rifftourismus mit seinen Tauch− und Schnorchelaktionen würde auf jährlich 9,6 Milliarden Dollar (8,7 Mrd. Euro) Umsatz geschätzt. Dieser stellt nicht nur für Australien mit seinem farbenfrohen Great Barrier Reef eine wesentliche Einnahmequelle dar. Nach NOAA−Angaben bringen die Korallenriffe den Florida Keys jährliche Einnahmen in Höhe von rund zwei Milliarden Dollar.

Mehr als 70.000 Arbeitsplätze hängen dort von ihnen ab, aber auch viele kleine Entwicklungsländer setzen auf Einnahmen durch Rifftourismus. Und zu guter Letzt würden auch die Fischerei und die medizinische Forschung leiden, da in Korallenökosystemen oftmals nach neuen Wirkstoffen gesucht werde, so die "Frankfurter Rundschau".

Christian Wild, Leiter der Arbeitsgruppe Marine Ökologie an der Universität Bremen, forderte gemeinsam mit einer Reihe von internationalen Korallenriffexperten kürzlich drei zentrale Maßnahmen für den Schutz der Korallenriffe. "Erstens Klimawandel stoppen, zweitens Korallenriffe durch besseres Management und besseren Schutz stärken und drittens innovative Ansätze nutzen, um Zeit zu gewinnen."

Der Forscher weist darauf hin, dass all diese Ansätze "uns allerdings nur etwas Zeit geben − im Optimalfall ein paar Jahrzehnte, um das Absterben der Korallenriffe zu verringern". Wenn es nicht gelinge, den Klimawandel so schnell wie möglich wirksam in den Griff zu bekommen, dann würden auch diese aufwendigen Ansätze nicht nachhaltig helfen können.

Quelle:
https://orf.at/stories/3326895/
(abgerufen am 13.08.2023)