Hype mit Folgen


Sie galt einst als Statussymbol und war reichen Menschen vorbehalten: Die Ananas war vor allem im 19. Jahrhundert ein rares und damit teures Gut. In Hawaii fand das Obst fruchtbaren Boden und wurde durch riesige Plantagen zum Exportschlager. Doch der Kolonialismus zerstörte das Ökosystem des Inselparadieses dauerhaft − und hat damit wohl auch zu den verheerenden Waldbränden der vergangenen Wochen beigetragen.

Es waren die folgenschwersten Brände der USA der letzten hundert Jahre, über 2.200 Gebäude wurden auf der Insel Maui zerstört. Mittlerweile wurden die größten Feuer gelöscht, eines dürfte aber schon jetzt sicher sein: Es werden nicht die letzten Brände im US−Bundesstaat Hawaii gewesen sein, denn jedes Feuer begünstigt weitere Brände.

Das liegt in erster Linie an dem seit über 150 Jahren beeinflussten Ökosystem der Inseln, eine direkte Folge des Kolonialismus und insbesondere der damals heiß begehrten Ananas. Denn Hawaii wurde erst als besonders reich an Wasser beschrieben, mit entsprechendem Artenreichtum, das die Hawaiianerinnen und Hawaiianer seit jeher mit Nahrung versorgte, wie der "Guardian" schreibt.

Doch das Klima und die Regenfälle lockten schon im frühen 19. Jahrhundert Großindustrielle aus den USA und Europa an, die dort ein Zuckerrohr− und Ananasimperium aufbauen wollten. Damit die Pflanzen gedeihen konnten, wurden Bäume gefällt und Milliarden Liter Wasser aus den Flüssen abgezweigt.

Das Resultat: "Das Land wurde von einer fruchtbaren Ebene mit großen, gesunden Bäumen", so Lucienne de Naie, Historikerin aus Maui, gegenüber dem "Guardian", "in eine reine Monokultur" verwandelt. "Reihenweise Zuckerrohr und reihenweise Ananas", so die Expertin. "Der Aufstieg des Plantagenkapitals führte zur Austrocknung der Westseite von Maui", so Kamana Beamer, Historiker und ehemaliges Mitglied der Hawaii Commission on Water Resource Management, die für den Schutz und die Regulierung der Wasserressourcen zuständig ist, im "Guardian".

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Die Industriellen bauten dadurch ihren Besitz und damit ihre Macht aus − und ebneten letztlich den Weg für eine Annexion Hawaiis durch die USA. Der erste Gouverneur des späteren Bundesstaats war Sanford Ballard Dole, ein Cousin des Gründers der Dole−Plantage, jener Firma, die heute vor allem in Supermärkten mit Bananen und Dosenfrüchten vertreten ist.

Auf der anderen Seite der Erdkugel wurden die Ananasfrüchte zu teils absurden Preisen verkauft und galten als absolutes Luxusgut: Die BBC schreibt in einem Bericht, dass eine Ananas heute umgerechnet mehrere tausend Pfund gekostet hätte. Der Hype um das Obst ging so weit, dass man eine Ananas auch auf Zeit mieten konnte − etwa, um mit ihr spazieren zu gehen.

Gegessen wurde sie deshalb auch nur selten − stattdessen wurde sie so lange zur Schau gestellt, bis sie verdorben war. Auf vielen Häusern aus der Zeit ist die Ananas als Symbold des Wohlstands immer noch prominent vorzufinden. Erst mit Industrialisierung und Dampfschifffahrt gingen die Preise so stark zurück, dass die Ananas an Bedeutung für die High Society verlor − das Interesse allgemein wurde dadurch aber nicht gebremst.

Durch den großangelegten Anbau von Zuckerrohr und Ananas war Hawaii in erster Linie dazu da, schnelles Geld zu machen, wie de Naie im "Guardian" sagte. Heute importiert der Bundesstaat rund 90 Prozent seiner benötigten Nahrungsmittel.

Der Boom, der auf dem Kolonialismus wachsen konnte, hielt rund zwei Jahrhunderte bis in die 1990er, ehe die Kosten für Arbeit stiegen und Hawaii als Anbauort unattraktiv wurde. Hersteller wie Dole und Del Monte verlegten den Großteil ihrer Produktion in andere Länder, die Philippinen führen heute den weltweiten Anbau an − Hawaii als Teil der USA steuert laut der UNO−Welternährungsorganisation FAO weniger als ein Prozent zur weltweiten Ananasproduktion bei. Und auch Zuckerrohr ist nicht mehr attraktiv: 2016 sperrte die letzte Firma in Hawaii zu.

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Das wiederum führt zum eigentlichen Problem: Durch die brachliegenden Farmen, deren Grund meist von privaten Investoren aufgekauft wurde, konnten sich invasive Pflanzenarten, in erster Linie Gräser, ungehindert ausbreiten. Diese wurden einst etwa als Viehfutter auf die Inseln gebracht, bedecken jetzt aber rund ein Viertel der Fläche Hawaiis.

Gegenüber dem "Wall Street Journal" sagte Clay Trauernicht, ein Brandexperte der Universität Hawaii in Manoa, dass der Rückgang der Landwirtschaft das Risiko von Waldbränden enorm erhöht habe. Flächen, auf denen früher Ananas und Zuckerrohr angebaut wurden, füllen sich jetzt mit hüfthohem Gras, das auf Hawaii nicht heimisch ist, sagte er dem Blatt. Ohne Regen trocknet das Gras schnell aus und ist entflammbar. "Wenn es sich entzündet, kommt es zu einer explosionsartigen Ausbreitung des Feuers", so Trauernicht.

"Sie verdrängen andere Pflanzenarten, insbesondere unsere einheimischen Arten", so Trauernicht weiter. Und: Durch die Brände breiten sich die Gräser noch schneller aus, schreibt die "Washington Post". In dem Blatt wird das Phänomen als "Gras−Feuer−Kreislauf" beschrieben, der beschleunigt werde: Nach einem Brand wachsen die invasiven Gräser am leichtesten wieder nach, verdrängen das Nachwachsen der einheimischen Arten und schaffen mehr Brennstoff für das nächste Feuer.

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Darüber hinaus würden die brachliegenden Farmen auch die Feuerwehrleute aufhalten − Straßen und Wasserrevoirs seien dadurch verschwunden, womit es schwerer werde, zu den Bränden zu gelangen und diese zu löschen, so der Experte. Aktivisten fordern laut "Guardian" im Hinblick auf die verheerenden Brände einen Rückbau des Ökosystems von Hawaii, angefangen bei der Wiederbelebung von Flüssen − die, wie große Teile des Ökosystems, für die Produktion des Luxusguts Ananas über Jahrhunderte zweckentfremdet wurden.

Quelle:
https://orf.at/stories/3329194/
(abgerufen am 06.09.2023)