Deutlich geschrumpft


Knapp 44 Prozent der antarktischen Schelfeisgebiete haben sich in den vergangenen 25 Jahren verkleinert. Eine Auswertung hochauflösender Satellitendaten zeigt: Durch diese Eisschmelze gelangten rund 7,5 Billionen Tonnen Süßwasser in die Ozeane. Die globale Erwärmung gilt als wahrscheinliche Ursache.

Beim Schelfeis handelt es sich um großflächige, bis zu 1.000 Meter dicke Eisplatten, die auf dem Meer schwimmen, aber noch mit dem Land verbunden sind. Gespeist werden sie von schnell fließenden Teilen des Eisschildes, der den antarktischen Kontinent bedeckt. Das Schelfeis übt dabei "eine entscheidende Kontrolle über die Geschwindigkeit des Eisabflusses in den Ozean aus", schreibt das Team um Benjamin Davison von der University of Leeds in ihrer im Fachjournal "Science Advances" erschienenen Arbeit. Die ins Meer ragenden Eisplatten gelten als Achillesferse des antarktischen Eisschildes: Schmilzt das Schelfeis, verringert sich seine Stützkraft. Die mächtige Eiskappe über dem Kontinent könnte dadurch rascher an Masse verlieren und verstärkt zum globalen Meeresspiegelanstieg beitragen.

Um den "Gesundheitszustand" aller antarktischer Schelfeisflächen in den Jahren 1997 bis 2021 nachzuvollziehen, haben die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinne mehr als 100.000 Satellitenaufnahmen analysiert. Sie nutzten dazu vor allem Daten der Satelliten CryoSat−2 und Sentinel−1 der Europäischen Weltraumagentur ESA und vom EU−Erdbeobachtungsprogramm Copernicus, die die Antarktis auch bei bewölktem Himmel und in den langen Polarnächten überwachen können. Jan Wuite und Thomas Nagler von der Innsbrucker Firma ENVEO berechneten eine kontinuierliche Zeitreihe von monatlichen Eisgeschwindigkeitskarten der Antarktis aus Sentinel−1−Daten, die die Grundlage zur Berechnung des Eismassenflusses und dessen zeitlicher Änderung sind.

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Der Analyse zufolge haben 71 der 162 antarktischen Schelfeisgebiete zwischen 1997 und 2021 an Volumen verloren, 29 dieser Flächen legten an Masse zu, und 62 veränderten sich nicht wesentlich. Von den schmelzenden Schelfeisgebieten haben 48 in nur 25 Jahren mehr als 30 Prozent ihrer ursprünglichen Masse verloren.

Dabei zeigten sich starke regionale Unterschiede: Fast alle Schelfeisgebiete auf der Westseite der Antarktis verzeichneten Rückgänge. "Auf der Ostseite hingegen ist die Variabilität größer: einige Schelfeisgebiete haben an Masse verloren, während andere gleichgeblieben sind oder sogar an Masse zugenommen haben", erklärte Nagler gegenüber der APA. Den Forschern und Forscherinnen zufolge hängt das mit der Meerestemperatur und den Meeresströmungen um die Antarktis zusammen: In der westlichen Hälfte der Antarktis greifen warme Meeresströmungen das Schelfeis schnell von unten her an, während ein großer Teil der Ostantarktis derzeit durch ein Band aus kaltem Wasser an der Küste vor dem warmen Wasser in der Nähe geschützt ist.

Einige der größten Eisverluste wurden auf dem Getz−Schelfeis beobachtet, wo im Untersuchungszeitraum 1,9 Billionen Tonnen Eis verloren gingen. Nur fünf Prozent davon waren auf das Kalben, also das Abbrechen größerer Eisstücke, zurückzuführen. Das Gros schmolz an der im Meereswasser liegenden Basis. Ähnlich das Bild beim Pine−Island−Schelfeis, das im Untersuchungszeitraum 1,3 Billionen Tonnen Eis verlor − zwei Drittel davon durch das Abschmelzen an der Unterseite. Im Gegensatz dazu hat das von viel kälterem Meereswasser umspülte Amery−Schelfeis auf der Ostseite der Antarktis um 1,2 Billionen Tonnen Eis zugelegt.

Im Lauf von 25 Jahren gelangten fast 67 Billionen Tonnen Eis in den Ozean. Dem steht ein Eiszuwachs von 59 Billionen Tonnen, welcher aus den Eisschild kommt, gegenüber, wodurch sich ein Nettoverlust von rund 7,5 Billionen Tonnen Eis ergibt. Das könnte erhebliche Auswirkungen nicht nur auf das Eissystem der Antarktis, sondern auch auf die globale Zirkulation der Meeresströmungen haben.

Denn das abschmelzende Süßwasser verdünnt das salzige Meereswasser, das daher länger braucht, um abzusinken. Dieses Absinken wirkt aber wie ein Motor, der das globale Zirkulationssystem der Ozeane antreibt, das Nährstoffe, Wärme und Kohlenstoff transportiert.

Quelle:
https://science.orf.at/stories/3221670/
(abgerufen am 28.10.2023)