Mehr Speicher


Wie viel CO2 Wälder wirklich speichern können, war zuletzt in der Forschung höchst umstritten. Eine Studie geht nun von einer höheren Menge aus, als viele annehmen: 226 Gigatonnen Kohlenstoff ließen sich zusätzlich binden, würde man bestehende Wälder schützen, ihre natürliche Vielfalt fördern und manche Flächen gezielt wieder aufforsten. Eine Senkung der Emissionen ersetze das allerdings nicht.

Vor vier Jahren publizierte das Team um Thomas Crowther von der ETH Zürich erstmals eine Studie zum unterschätzten Potenzial von Wäldern im Klimaschutz: Durch globale Aufforstung ließen sich 205 Gigatonnen Kohlenstoff binden. Die damalige Schätzung wurde umgehend von vielen Forschern und Forscherinnen als viel zu hoch kritisiert, sie sei womöglich sogar um das Vier− bis Fünffache höher als die realen Möglichkeiten.

Auch an der Umsetzbarkeit des theoretischen Potenzials gab es Kritik, für die Klimakrise seien Massenpflanzungen keine Lösung. Seitdem ging die Debatte rund um die globalen CO2−Speicherkapazitäten der Wälder weiter. Zuletzt sind vor allem Waldprojekte im Zusammenhang mit dem globalen Emissionshandel in die Kritik geraten: Ihre CO2−Wirksamkeit werde drastisch überschätzt, heißt es in einer Studie aus dem heurigen August.

Nun legt Crowther gemeinsam mit Autoren und Autorinnen von über 200 Institutionen weltweit im Fachmagazin "Nature Climate Science" eine neue Arbeit zum Thema vor, bei der diese Einwände berücksichtigen wurden. Im Fokus steht dieses Mal das gezielte Management bestehender Wälder.

Durch die Abholzung speichern die natürlichen Waldbestände um 328 Gigatonnen weniger als in ihrem Ursprungszustand, heißt es in der Studie. Auf einigen ehemaligen Waldflächen befinden sich jedoch heute Siedlungen oder sie werden für die Landwirtschaft genutzt. Dort könne man nicht so einfach neue Bäume pflanzen. Speicherpotenzial liegt der Studie zufolge aber ohnehin vor allem dort, wo heute noch ursprünglicher Wald wächst oder in waldigen Gebieten, in denen der menschliche Einfluss gering ist, erklären Crowther und sein Team.

Das zeigen unter anderem Messungen der Biomasse am Boden mit Hilfe von Satellitendaten. Dabei werden neben den Bäumen auch Wurzelsysteme, Totholz und Böden berücksichtigt. Nach den Modellierungen der Forscher und Forscherinnen liegt das Speicherpotenzial in Gebieten mit geringem menschlichem Einfluss global bei 226 Gigatonnen Kohlenstoff. Zum Vergleich: Die globalen fossilen CO2−Emissionen im Jahr 2022 entsprachen rund zehn Gigatonnen Kohlenstoff.

Den größeren Anteil daran (61 Prozent) hätte die Wiederherstellung degradierter Wälder − dafür müsste man unter anderem ihre natürliche Vielfalt fördern. Die restlichen 39 Prozent würde die Aufforstung entwaldeter, aber ungenutzter Flächen abdecken. Es gäbe also nur minimale Landnutzungskonflikte. Wie Crowther in einer Aussendung betont, müsse der Begriff der Wiederherstellung neu definiert werden: "Wiederherstellung bedeutet nicht, dass man massenhaft Bäume pflanzt, um CO2−Emissionen auszugleichen." Vielmehr gehe es darum indigene Gemeinschaften und Bauern zu unterstützen, um die Biodiversität zu fördern.

Natürliche Wälder mit hoher Vielfalt könnten demnach weitaus mehr Kohlenstoff binden. Das sei aber kein Ersatz dafür, die Treibhausgase deutlich zu reduzieren, unterstreicht das Forschungsteam. Denn wenn die Emissionen weiterhin steigen, sind auch die Wälder durch die Erwärmung zunehmend bedroht, etwa durch Dürren und Waldbrände.

Obwohl die Forscherinnen und Forscher um Crowther einige Vorbehalte gegenüber der Studie von 2019 berücksichtigt haben, erntet die neue Arbeit erneut Kritik, wie vom deutschen Science Media Center eingeholte Statements zeigen. Die Modellierung enthalte immer noch sehr viele Unsicherheiten, so der Tenor.

Einige der befragten Experten kritisieren, dass der Klimawandel zu wenig berücksichtigt wurde, so etwa Florian Zabel, Geograf an der der Ludwig−Maximilians−Universität München: "Zum Beispiel eine Zunahme von Dürren und Waldbränden durch höhere Temperaturen, aber auch ein mögliches stärkeres Pflanzenwachstum durch CO2−Düngung. Ebenso wird nicht berücksichtigt, dass der Druck auf Land durch eine steigende Lebensmittelnachfrage zukünftig steigen könnte − insbesondere durch einen höheren Fleischkonsum − und somit geringere Flächen für die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verfügung stehen als gedacht."

Christian Körner von der Universität Basel gibt außerdem zu bedenken, dass der Studie trotz der soliden Methodik ein falsches Grundverständnis von Wald zugrunde liegt. Denn reale Wälder seien dynamische Systeme, die sich auch in unberührter Natur in ständigem Wechsel zwischen langsamem − Jahrhunderte andauerndem − Aufbau und plötzlichem Zusammenbruch − innerhalb von Stunden bis Wochen − durch Feuer, Windbruch oder Insekten befinden: "Wälder, die dauerhaft einen maximalen ´Idealspeicher´ aufweisen, wie hier angenommen, gibt es nicht."

Die Studie nähre eine Illusion: "Aufforstung von brach liegendem, waldfähigem Land ist ökologisch absolut wünschenswert, die Wirkung als Kohlenstoffspeicher folgt dabei aber sehr stark verzögert. Mit den hier berechneten, maximal möglichen Vorräten ist − unabhängig von der Flächengröße − wohl erst in 100 bis 200 Jahren zu rechnen, wenn man sofort überall gleichzeitig beginnen würde", so Körner. Wie er betont, weisen die Autoren und Autorinnen in ihrer Studie selbst auf diese Einschränkungen hin. Generell liefere die Arbeit aber ein sehr differenziertes Bild, das für globale Fragen des Waldzustandes und möglicher Entwicklungen sehr wertvoll sei.

Quelle:
https://science.orf.at/stories/3222114/
(abgerufen am 18.11.2023)