Fehlender Strom


Einmal mehr stöhnt Europa unter der Hitze. Vor allem im Südwesten des Kontinents gehen die hohen Temperaturen mit ausgedehnter Trockenheit einher. Das hat auch Folgen für die Stromproduktion − angesichts der aktuellen Energiekrise zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Doch nicht nur deshalb wäre es angebracht, schon jetzt und nicht erst im Herbst mit dem Energiesparen zu beginnen, sagt der Klimaökonom Stefan Schleicher.

Dass dieses Jahr gerade im Westen und Süden des Kontinents besonders trocken ausfallen könnte, zeigte sich bereits im Winter. In vielen Teilen Europas regnete und schneite es deutlich weniger als im Durchschnitt der Jahre zuvor. In Portugal zum Beispiel waren die Wasserstände der Stauseen bereits im Jänner so niedrig, dass klar war: Ein Wasserverbrauch wie in einem "normalen" Jahr wird sich nicht ausgehen.

Im Februar ordnete die portugiesische Regierung an, die Speicherwasserkraftwerke maximal zwei Stunden pro Woche laufen zu lassen. Und auch bei den Laufwasserkraftwerken brach die Stromproduktion in diesem Jahr wegen der geringen Wasserstände um mehr als zwei Drittel ein. Dafür wurde in den Gaskraftwerken deutlich mehr von dem fossilen Rohststoff verheizt.

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Portugal gehört gemeinsam mit Spanien zu den ersten Ländern in der EU, die in der aktuellen Energiekrise die Gaspreise für die Stromproduktion gedeckelt haben. Bei Portugals östlichem Nachbarn zeichnet sich ein ähnliches Bild aus großer Trockenheit, damit einhergehenden Einbrüchen bei der Stromgewinnung aus Wasserkraft und zugleich merklich gestiegenem Gasverbrauch.

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Dramatisch stellt sich die Situation auch in Italien dar. Geringe Niederschläge im Winter, ein trockenes Frühjahr und eine lange Hitzewelle Anfang des Sommers trafen vor allem den Norden des Landes hart. Manche Flüsse führten kaum bis gar kein Wasser mehr. Die Energiegewinnung aus Wasserkraft ging bis Juni im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fast um die Hälfte zurück.

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Zugleich droht Meerwasser, das in die Flussbetten drängt, landwirtschaftliche Flächen in den Mündungsgebieten zu versalzen. Als Gegenmaßnahme wurden in den Südtirolern Bergen an mehreren Tagen die − ohnehin unterdurchschnittlich gefüllten − Stauseen geöffnet. Dass damit weniger Stromreserve für Herbst und Winter zur Verfügung steht, nimmt man in Kauf.

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Doch Hitze und Dürre haben nicht nur Folgen für die Wasserkraft, wie ein Blick nach Frankreich zeigt. Dort spielen Wasserkraftwerke im Stromsystem nur eine untergeordnete Rolle. Doch auch für das Rückgrat der französischen Stromproduktion können Trockenheit und Sommerhitze zum Problem werden. Mehr als zwei Drittel des Stroms in Frankreich werden in Atomkraftwerken gewonnen. Und die Reaktoren sind − zur Kühlung − ebenso auf Wasser angewiesen. Bereits im Frühjahr musste die Leistung zweier Kraftwerke gedrosselt werden, weil die Rhone und die Flussmündung Gironde zu wenig Wasser führten. Das warme Kühlwasser der Kraftwerke hätte das Flusswasser zu stark aufgeheizt.

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In der aktuellen Hitzewelle wurden nur für drei Kraftwerke per Ausnahmeregelung sogar die Umweltauflagen gelockert. Sie dürfen Kühlwasser mit einer höheren Temperatur einleiten als eigentlich zum Schutz von Flora und Fauna vorgeschrieben ist. Zum Schutz der Stromversorgung drücken die Behörden mindestens ein Auge zu. Denn teils wegen routinemäßiger Wartungsarbeiten, teils wegen vermuteter Schäden im Kühlsystem hängt derzeit ohnehin fast die Hälfte der 56 Kernkraftwerke nicht am Netz. War Frankreich über Jahre einer der größten Stromexporteure Europas, ist das Land derzeit auf Importe angewiesen.

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Hitze und Trockenheit schlagen nicht nur auf die Stromerzeugung durch. Hohe Außentemperaturen lassen zugleich den Verbrauch steigen. Laut dem heimischen Verteilnetzbetreiber APG lag etwa der Stromverbrauch im überdurchschnittlich warmen Juni 2021 in Österreich vier Prozent über dem durchschnittlichen Wert der Jahre 2017 bis 2019. Ist es heiß, werden mehr Klimageräte eingeschaltet. Und jedes Grad mehr Außentemperatur bedeutet zusätzlich mehr Energieaufwand für die Kühlung.

In Österreich fiel das bisher wenig ins Gewicht. Auch, weil hierzulande gerade in den Sommermonaten durch die vielen Wasserkraftwerke reichlich Strom produziert wird. So exportierte Österreich in den vergangenen Jahren vom späten Frühjahr über den Sommer hinweg fast immer mehr Strom, als es einführen musste.

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2022 zeigt sich bisher ein anderes Bild: In diesem Jahr übertraf der Import noch in jedem Monat den Export. Dass Winter und Frühjahr tendenziell trocken ausfielen, macht sich − wenn auch bei Weitem nicht so stark wie in anderen Ländern − auch bei den heimischen Wasserkraftwerken bemerkbar.

Angesichts einer ungewissen russischen Gasversorgung versuchen die europäischen Länder eigentlich, so viel Gas wie möglich vor Herbst und Winter einzuspeisen. Dass der Gasverbrauch in der EU allein für die Stromerzeugung im ersten Halbjahr nicht zurückging, sondern sogar leicht anstieg, mag Stirnrunzeln hervorrufen. Man mag einwerfen, dass etwa Spanien und Portugal bisher ohnehin nicht auf russisches Gas angewiesen waren. Italien war das bisher hingegen sehr wohl. Und von hohen Gaspreisen blieben auch Spanien und Portugal nicht verschont.

Noch scheinen sich die meisten Energiesparkonzepte in Europa vor allem auf Herbst und Winter zu konzentrieren. Aufrufe oder gar Konzepte zum sofortigen Energie− und ganz konkret Stromsparen lassen sich EU−weit nur vereinzelt finden. In Frankreich waren es etwa die Manager des Kraftwerksbetreiber EDF, die in einem offenen Brief die Menschen zum Stromsparen aufriefen. Die EU−Kommission verwies auf Nachfrage von ORF.at ebenfalls auf geplante Maßnahmen für den Winter. Kommende Woche will die Komissionen einen Notfallplan präsentieren. "Wir werden versuchen, die Nachfrage präventiv und auf koordinierte Weise zu reduzieren", so die EU−Behörde.

In Deutschland, das auch im Sommer merklich stärker auf Gaskraftwerke angewiesen ist als etwa Österreich, hat die Energiespardiskussion bereits an Fahrt aufgenommen. Seit Wochen läuft dort auch eine Kampagne, die unter anderem zum Hinunterdrehen der Klimaanlagen aufruft. Zugleich wird aber auch der deutschen Regierung vorgeworfen, noch keinen ausgereiften Energiesparplan vorgelegt zu haben.

In Österreich thematisieren die Medien − vor allem auch im Hinblick auf die hohen Energiepreise − zwar auch Energiesparmaßnahmen. Und dann und wann ruft auch ein Regierungsmitglied zum Energiesparen auf. Vergangene Woche appellierte etwa Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) im Rahmen einer Pressekonferenz an die Menschen in Österrreich. Eine größer angelegte Infokampagne der Regierung soll aber erst im September starten. "Der Schwerpunkt wird dabei klar auf dem Gasverbrauch liegen, aber es soll auch über andere Bereiche informiert werden", heißt es aus dem Klimaschutzministerium.

Natürlich ist in der kalten Jahreszeit der Gasverbrauch in Europa merklich höher als im Sommer. Doch die europäischen Länder und damit auch Österreich hätten "jeden Grund, uns schon jetzt vorzubereiten", sagt Stefan Schleicher, Klimaökonom beim Wirtschaftsforschunginstitut (WIFO) und dem Wegener Zentrum für Klima und Globalen Wandel. Laut dem Experten zeigt sich deutlich, dass unsere Gesellschaft nicht darum umhinkommt, Energie einzusparen; zum einen langfristig auf dem Weg zu einer klimaneutralen Gesellschaft, zum anderen kurzfristig angesichts der aktuellen Energiekrise.

Zu mehr Energieeffizienz führten dabei drei Strategien, skizziert Streicher: Steuern, Substituieren und Verändern von Strukturen. Unter die beiden letzten Punkte fällt, grob gesagt, die Umrüstung unseres Energiesystems auf erneuerbare Energiequellen mit allen technologischen und politischen Änderungen, die damit einhergehen müssen. Da geht es also um eine längerfristige Perspektive.

Schnell − quasi sofort − umsetzbar seien allerdings Steuerungsmaßnahmen, sagt der Ökonom. "Überall dort geht kurzfristig etwas." Bei manchen Anlagen und Maschinen in gewerblichen Betrieben liefen etwa die Motoren durch, obwohl sie das gar nicht müssten. Manchmal sei schlicht gar nicht bekannt, was man wie abschalten könne. Sparen lässt sich laut Schleicher auch bei Beleuchtung und Informationstechnologie. Allerdings, gibt der Ökonom zu bedenken, werde das Potenzial dort oft überschätzt.

Ein deutlich größerer Hebel liegt laut Schleicher woanders: "Im Sommer die Kälte, im Winter die Wärme", sagt Schleicher. Aktuell würde das etwa bedeuten, nicht nur über das Heizen im Winter, sondern auch über die Intensität der Kühlung im Sommer zu diskutieren. "Wir müssen hinterfragen, dass wir Innenraumtemperaturen auf 22 Grad runterkühlen", sagt Schleicher.

Für den Gasverbrauch hierzulande mag das ob der sommerlichen Stromproduktion nur geringe Auswirkungen haben. In Ländern wie Italien, die auch im Sommer stark auf Gaskraftwerke setzen, sieht das schon anders aus. Und dann könnte man natürlich auch sagen: Damit, Bewusstsein zu schaffen, kann man kaum zu früh beginnen.

Quelle:
https://orf.at/stories/3275543/
(abgerufen am 18.07.2022)