Raubbauzügelung


Sierra Leone gilt gemeinhin als Land der Bodenschätze. Viele Unternehmen reißen sich um den westafrikanischen Staat − nicht immer zum Wohl des Umweltschutzes und der lokalen Bevölkerung. Wegen der Verpachtung von Bau− und Ackerflächen wurden zum Teil blutige Konflikte ausgetragen. In naher Zukunft wird sich das ändern.

Die jüngst verabschiedeten Gesetze sehen vor, dass Unternehmen, die in Sierra Leone tätig sind, die ausdrückliche Zustimmung der örtlichen Gemeinden einholen müssen, bevor sie mit ihren Aktivitäten beginnen dürfen. Die Bevölkerung in der Region kann dem Projekt, sofern sie davon betroffen ist, widersprechen − dabei soll sie im Fall des Falles auch finanzielle Hilfe von der Regierung bekommen.

Mit dem Recht auf freie, informierte und vorherige Zustimmung sollen Konflikte zwischen Einheimischen und ausländischen Konzernen, die in der Vergangenheit auch tödlich endeten, vermieden werden. Zuletzt hatten Großunternehmen, die weite Flächen für Palmöl− und Zuckerrohrplantagen gerodet hatten, immer wieder für Ärger gesorgt. Die Bevölkerung beklagte Umweltschäden, den Verlust ihrer Lebensgrundlagen und die ungerechte Entschädigung für ihr Land.

Nach den bisherigen Regeln erhielten Landbesitzer eine vom Staat festgelegte jährliche Pacht für die Überlassung der Grundstücke und Anbauflächen. Beobachtern und Beobachterinnen zufolge haben Unternehmen, die Gold, Titan oder Diamanten abbauen oder Palmöl anbauen wollten, die lokale Bevölkerung oft durch Vereinbarungen mit Regierungsbeamten umgangen.

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Sierra Leone ist mit 71.740 Quadratkilometern etwas kleiner als Österreich. Das Land mit knapp acht Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern exportiert vor allem Diamanten, Metalle und Kakao, muss aber Industriegüter und Nahrungsmittel einführen. Aber obwohl Sierra Leone reich an Bodenschätzen ist, ist es eines der ärmsten der Welt. Die Kindersterblichkeit ist äußerst hoch, sauberes Wasser und Strom sind Mangelware.

Insbesondere der Bürgerkrieg in den 1990er Jahren hat das Land in den Abgrund getrieben. Die Konfliktparteien kontrollierten den Verkauf von Diamanten und kauften mit dem Erlös neue Waffen − deshalb wurden die Edelsteine auch "Blutdiamanten" genannt. Damals wie heute ist die wichtigste Einkommensquelle neben dem Kleinbergbau die Landwirtschaft − gerade deshalb, meinen Fachleute, sei die neue Regel ein Meilenstein, was Landrecht und Umweltschutz betrifft.

Die zwei neuen Gesetze, Customary Land Rights Act und National Land Commission Act, ermöglichen den Landbesitzern, mit Investoren über den Wert ihres Landes zu verhandeln und zu verhindern, dass es ohne ihre ausdrückliche Zustimmung verpachtet wird. Zudem wird der Schutz der Gemeinden vor Bergbauaktivitäten gestärkt. Mit einem Gesetz wurde außerdem eine alte Bestimmung aufgehoben, wonach Nachkommen befreiter Sklaven untersagt wurde, außerhalb der Hauptstadt Freetown Land zu besitzen.

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Freilich beschränkt sich das Thema der vorherigen Zustimmung zu größeren Projekten, die die heimische Bevölkerung im Alltag betreffen, nicht auf Sierra Leone. NGOs und internationale Organisationen setzen sich seit Langem dafür ein, dass Regierungen und Unternehmen die Zustimmung der lokalen Bevölkerung einholen müssen, bevor sie Großprojekte in Angriff nehmen.

Liberia hatte ein entsprechendes Gesetz vor knapp vier Jahren verabschiedet. Die Nachrichtenagentur Reuters beschrieb den Schritt als "bahnbrechend". Medienberichten zufolge war die Umsetzung aber alles andere als einfach. Die Regierung könne außerdem, anders als in Sierra Leone, die Bevölkerung umgehen, um Großprojekte zu erlauben.

In Ecuador konnten die Indigenen A´i Cofan Anfang des Jahres einen großen Erfolg feiern. Das ecuadorianische Höchstgericht hatte ein Urteil bestätigt, mit dem Dutzende Goldabbaukonzessionen ausgesetzt wurden. Die Begründung lautete sinngemäß: Die lokale Gemeinschaft sei vor Start der Projekte nicht ordnungsgemäß konsultiert worden. Die indigenen Gemeinschaften müssten für alle größeren Projekte, die in ihren Gebieten geplant sind, oder für andere Projekte, die ihre Lebensweise beeinträchtigen könnten, ihre Zustimmung geben.

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Die Gesetze in Sierra Leone gehen nach Ansicht vieler Fachleute bisher am weitesten. "Unseres Wissens gibt es nirgendwo auf der Welt ein rechtliches System, das Gemeinschaften, die mit Schäden konfrontiert sind, so starke Rechte einräumt", sagte Sonkita Conteh, der im Auftrag der gemeinnützigen Organisation Namati lokale Gemeinschaften rechtlich schult. Der Rechtsexperte weist auf einen weiteren Grund für die neuen Gesetze hin. Bisher hätten Familien leicht ihres Landes beraubt werden können, sagt er.

Das liege vor allem daran, dass viele Teiles des Landes dem Gewohnheitsrecht unterliegen. Ungeschriebene Regeln und mündliche Überlieferungen würden bestimmen, wer Land besitzen, nutzen oder übertragen darf, was häufig zum Nachteil bestimmter ethnischer Gruppen und Frauen ist. Liegen also kaum oder keine schriftlichen Eigentumsnachweise vor, hätten Unternehmen über Zwischenhändler Grundstücke ohne Weiteres erwerben können.

Die neuen Gesetze übertragen die Macht von Vermittlern wie Gemeindevorstehern auf die Personen, die das Land besitzen oder direkt nutzen − also die lokale Bevölkerung. Außerdem wird festgelegt, dass Frauen die gleichen Landrechte haben sollen. Bisher stießen Frauen oft auf Hindernisse, wenn es um Eigentum geht.

Die rechtlichen Schritte hatten in den vergangenen Wochen auch Widerstand in der Wirtschaft hervorgerufen. Unternehmen warnten davor, dass die neuen Gesetze jede neue Landerschließung behindern würden. Der Direktor von SOCFIN, dem größten Agrarunternehmen in Sierra Leone, sagte dazu: "Das wird mit Sicherheit jede Investition blockieren." Das in Luxemburg ansässige Unternehmen investierte mehr als 150 Millionen Dollar in den Palmölanbau in Sierra Leone. Dabei kam es häufig zu Konflikten mit Teilen der lokalen Bevölkerung.

Gegenüber der "New York Times" hatte ein Investor angekündigt, keine neuen Projekte in Sierra Leone zu planen. Andere Firmen erklärten hingegen, dass die Bevölkerung und lokale Gemeinschaften besser über Projekte, die ihre Lebensgrundlage betreffen, informiert werden sollten.

Quelle:
https://orf.at/stories/3280355/
(abgerufen am 16.08.2022)