Erdbebenforschung


Österreich verfügt über ein gut ausgebautes seismisches Messnetz, das neben Erdbeben auch andere Ereignisse, wie etwa Felsstürze registriert. Käme es in der Ukraine zu einer großen Explosion aufgrund eines Nuklearunfalls, wäre auch diese in den Daten sichtbar.

Die seismischen Messstationen in Österreich würden die Erschütterungswellen einer großen Explosion im Atomkraftwerk Saporischschja in der Südukraine registrieren. Das könne niemand verhindern, sagt Wolfgang Lenhardt, der bis vor Kurzem die Abteilung Geophysik an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) geleitet hat.

Wären nach den Erschütterungswellen auch Schallwellen messbar, wäre klar, dass etwas auf der Erdoberfläche passiert sein muss. Denn bei tektonischen Erdbeben habe man normalerweise keinen Luftschall. "Damit kann ich schon einmal unterscheiden: Ist es eine Explosion oder ein natürliches Erdbeben. Es gibt ja in der Ukraine auch natürliche Erdbeben. Das muss nicht alles kriegsbedingt sein."

Da Erdbeben nicht an Landesgrenzen haltmachen, steht Österreich im Austausch mit seinen Nachbarländern. Mit Hilfe der Daten anderer Bebenstationen ließen sich Erschütterungsquellen geographisch eingrenzen, erklärt der Geophysiker, der auch für die Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO) tätig ist.

Österreichs seismisches Messnetz wurde in den vergangenen Jahren stark ausgebaut und umfasst mittlerweile fünfzig Stationen, verteilt auf das ganze Land. Obwohl Erbeben im Wiener Becken, im steirischen Mürztal, im Süden Kärntens und im Tiroler Inntal wahrscheinlicher sind als anderswo, müsse man flächendeckend messen, sagt Wolfgang Lenhardt. Nur wenn man Vergleichsdaten habe, könne man den Erdbebenherd lokalisieren. "Das ist ja nicht ein Punkt, sondern eine Fläche im Erdinneren, in einer Tiefe zwischen zwei und 16 Kilometer."

Die Erdbebengefährdung in Österreich ist relativ gering, da die Alpen ein junges Gebirge mit kleinen tektonischen Bruchflächen sind. Die Häufung von Erdbeben im vergangenen Jahr mit etwas stärkeren Beben, die in Niederösterreich und der Steiermark zu Gebäudeschäden geführt haben, sei eine Ausnahme gewesen. Allgemein gebe es keinen Trend zu mehr Erdbeben, auch nicht auf Grund der Klimaerwärmung, sagt der Geophysiker.

Da die Bebenherde in der Tiefe liegen, werden sie durch höhere Temperaturen nicht unmittelbar beeinflusst. "Was möglicherweise eine Rolle spielen könnte, ist das Abschmelzen der Gletscher. Dadurch verringert sich die Auflast und damit die geomechanischen Druckverhältnissen nahe an der Erdoberfläche." Das könne eventuell zu kleineren Erdbeben in manchen Gebieten führen, wie beispielsweise in Schweden.

Durch die Klimaerwärmung steige jedoch die Wahrscheinlichkeit für Starkregenereignisse und infolgedessen das Risiko von Hangrutschungen und Felsstürzen, sagt Lenhardt. "Wir haben in den letzten Jahren durch die Verdichtung des Messnetzes schon sehr viele dieser Felsstürze registrieren und auch sehr gut eingrenzen können."

Mit dem Conrad Observatorium betreibt die ZAMG auch eine eigene geophysikalische Forschungseinrichtung. Hier werden unter anderem Erdschweremessungen durchgeführt, um kleinste Änderungen der Erdanziehungskraft zu bemerken, die durch Erdbeben, die Gezeiten oder Änderungen im Erdkern und der Erdrotation verursacht werden. Und auch Sonnenstürme werden durch die Messungen des Erdmagnetfeldes frühzeitig registriert. "Wir haben eine Vorwarnzeit von 14 bis 17 Stunden bevor es wirklich Probleme geben könnte."

Im Unterschied zu Gewittern könne man Erdbeben nicht vorhersagen, betont Wolfgang Lenhardt. Denn die tektonischen Platten bewegen sich sehr langsam. "Das passiert mit Geschwindigkeiten von Millimetern bis Zentimetern im Jahr. Während wir beim Wetter mit Geschwindigkeiten von zehn Kilometern pro Stunde rechnen müssen." Kommt ein Gewitter eine Stunde später als angekündigt, würde so eine Verzögerung auf Erdbeben umgerechnet Tausende von Jahren betragen.

Quelle:
https://science.orf.at/stories/3215031/
(abgerufen am 11.09.2022)