Der Weg des Erdgases


Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat gezeigt, wie abhängig Österreich von russischem Erdgas ist. Eine seit Jahrzehnten gewachsene Infrastruktur soll hierzulande dafür sorgen, dass das Gas von der österreichischen Grenze bis in die Haushalte und Unternehmen kommt. Mit den gedrosselten Gasflüssen aus Russland stellt sich auch die Frage, wie dieses System heute − und in Zukunft − funktioniert.

Drei Tage − so lange beträgt die Vorwarnzeit, würde Russland auch den Gasfluss durch die letzte Pipeline nach Europa abdrehen. Sofort bemerken würde man das in der Gasstation Baumgarten im Osten Österreichs, die von der Gas Connect Austria betrieben wird. "Ändert sich etwas an den Gasflüssen nach Österreich, merken das die vorgelagerten Infrastrukturbetreiber, und das europäische System ist sehr gut vernetzt. Die Informationen fließen schneller als das Gas nach Baumgarten", sagt Stefan Wagenhofer, Geschäftsführer der Gas Connect Austria, sie ist für den Gastransport in Österreich zuständig.

Angekommen in Baumgarten wird das Gas aufbereitet − gemessen, gereinigt und entfeuchtet − und anschließend wieder komprimiert in die österreichischen Leitungen eingespeist. Den Weg in die Haushalte und zu Unternehmen vergleicht Wagenhofer mit dem Straßennetz: "Die Hochdruckebene ist sozusagen die Gasautobahn, dort wird durch Druck Geschwindigkeit aufgebaut, und dann rollt das Gas bis zu Ihnen nach Hause, das heißt, es geht dann auf die Landstraße, dann weiter auf die Bezirksstraße bis in die Gasse, wo Sie wohnen, und dort kommt es dann mit einem geringen Druck heraus."

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Der Druck im Gasnetz richtet sich nach den Gasgroßverbrauchern, die Industrie benötigt maximal rund 40 bar − dieser Wert muss somit auch in den großen Pipelines erreicht werden. Kommt weniger Gas etwa aus einer Pipeline aus Russland, ist die Gas Connect dafür verantwortlich, anderes Gas beizumischen, um den Druck im Netz halten zu können.

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Ursprünglich war es das Ziel der Gasstation Baumgarten, russisches Gas in Europa zu verteilen − heute wird auch Erdgas aus anderen Quellen durch die Leitungen geschickt. Gebaut wurde die Station 1959 − den ersten Liefervertrag mit Russland hat die OMV knapp zehn Jahre danach unterzeichnet.

Im September 1968 floss erstmals russisches Erdgas nach Österreich. Über die Jahre hinweg wurde Baumgarten zunehmend wichtiger für die Gasversorgung in Europa − aktuell wird Gas nach Deutschland, Italien, Slowenien, Kroatien und Ungarn verteilt und natürlich an die heimischen Gasversorger übergeben.

Mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine wurde aus dem russischen Gasstrom allerdings nur noch ein besserer Fluss. Angesichts der Entwicklungen war schnell klar: Damit Europa einigermaßen gut durch den Winter kommt, musste die Devise für den Sommer "Speichern" lauten.

80 Prozent gab sich die EU als unterstes Speicherziel. Inzwischen sind die europäischen Speicher zu mehr als 93 Prozent gefüllt. Österreich hinkte dabei prozentuell dem EU−Durchschnitt längere Zeit hinterher. Das mag man zum einen damit erklären, dass die heimischen Speicher vergleichsweise groß sind. Zum anderen hatte es aber auch einen ganz konkreten Grund − und der liegt in Haidach.

Im Grenzgebiet zwischen Oberösterreich und Salzburg befindet sich der zweitgrößte Erdgasspeicher Europas. Nur eine Anlage im deutschen Niedersachsen fasst mehr Gas. Früher war hier ein natürliches Erdgasreservoir. Ab 1997 wurde das darin liegende Gas gefördert. Von Anfang an mit dem Plan, dort später einen Erdgasspeicher zu errichten.

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Denn der Boden unter Haidach weist ganz besondere Eigenschaften auf. In rund 1,5 Kilometer Tiefe liegt auf einer Fläche von rund 17,5 Quadratkilometern eine dicke Schicht poröses Sandgestein. Bis zu 100 Meter betrage die "Mächtigkeit", umgeben von einer Schicht abdichtenden Tons, sagt Georg Schober. Der Ingenieur ist selbst nur unweit des Speichers aufgewachsen. Jetzt leitet er die Anlage.

Angestellt ist Schober bei der RAG Austria AG. Das Gasspeicherunternehmen ist für den technischen Betrieb der Anlage verantwortlich. Die RAG hat den Speicher auch mitentwickelt − gemeinsam mit der Gasprom. Denn die Russen waren von Anfang mit an Bord.

Über lange Zeit sei die Gasprom auch ein verlässlicher Partner gewesen, heißt es. Doch das änderte sich vor mehr als einem Jahr. Seit dem Frühjahr 2021 speicherte die Gasprom, beziehungsweise deren Tochterunternehmen GSA, quasi kein Gas mehr in den Speicher ein − mit einer kleinen Ausnahme an ein paar Tagen im Dezember vergangenen Jahres. Die GSA ließ den Speicher regelrecht leerlaufen. Im Nachhinein ist es keine gewagte These, hier schon eine Vorbereitung auf den Angriffskrieg in der Ukraine zu erkennen.

Richtig bemerkt hat die Öffentlichkeit die ausbleibende Einspeicherung freilich erst im heurigen Frühjahr. Als zum einen die eingespeicherten Gasmengen in ganz Europa zu Neige gingen, und zum anderen klar wurde, dass in den kommenden Monaten so viel Gas wie möglich wieder eingespeichert werden müsste.

Auf einmal war der Speicher Haidach politisches und gesellschaftliches Diskussionsthema. Und im Sommer wurde er nach einer entsprechende Gesetzesänderung der Gasprom entzogen. Anfang August begann dann auch in Haidach die Einspeicherung. Ab dem Zeitpunkt "wurden sehr große Leistungen von uns benötigt, damit wir das Gas auch entsprechend einspeichern", sagt Stefan Lehner, der für die RAG den gesamten Speicherbetrieb leitet. Überhaupt habe es "in der Geschichte von Haidach" innerhalb einer Saison noch nie so große Einspeichermengen gegeben. "Das war schon eine Herausforderung", sagt Lehner.

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Am Donnerstag erreichten schließlich auch die heimischen Speicher − Haidach mitgerechnet − einen Speicherstand von 90 Prozent. Wem dieses Gas gehört, das war freilich lange Zeit nicht wirklich bekannt. Erst seit vergangener Woche kann sich jede und jeder auf einem Dashboard des Energieministeriums zumindest einen Überblick über der Besitzverhältnisse verschaffen. Aus diesem geht hervor: Rund 60 Prozent der zurzeit eingespeicherten 86 Terawattstunden Gas sind für heimische Verbraucher bestimmt, also für Energieversorger, Haushalte und Industrie.

Einen beträchtlichen Teil dieser Summe macht die strategische Gasreserve aus. Der staatliche Polster umfasst 20 Terawattstunden und soll für Sicherheit im Fall der Fälle sorgen. Die erst heuer ins Leben gerufene Reserve hat sich der Staat einiges kosten lassen. 3,95 Milliarden Euro hat Österreich dafür ausgegeben, erklärt Carola Milgram. Sie leitet bei der Regulierungsbehörde E−Control die Gasabteilung.

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Die Milliardensumme für die Gasreserve ist nur ein Beispiel dafür, dass sich Europa das Einspeichern viel kosten hat lassen. Geradezu fieberhaft wurde in den vergangenen Monaten Gas aus Quellen abseits von Russland eingekauft. Vieles davon kam als Flüssiggas (LNG) aus Übersee nach Europa. Der Transport des unter tiefen Temperaturen verflüssigte Gases ist aufwendig − und damit auch teurer als Pipeline−Gas.

Darüber hinaus trieb die hohe Nachfrage den Gaspreis nach oben. Im September erreichten die Tagespreise für Erdgas in Europa Höhen jenseits von 300 Euro pro Megawattstunde. Mit dem Erreichen der europäischen Speicherziele gaben die Preise freilich merklich nach. Milde Temperaturen im Oktober in Kombination mit vollen Speichern sorgen derzeit dafür, dass kurzfristig an der Börse gehandeltes Erdgas zurzeit kaum mehr als 50 Euro pro MWh kostet.

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Das wird sich mit steigender Nachfrage ziemlich sicher wieder ändern. Als große Unbekannte gilt weiterhin, wie viel Gas aus Russland kommt. Zwar ist die strategische Gasreserve auf drei Jahre angelegt. Sollten die Gaslieferungen aus Russland ganz zum Versiegen kommen, wird Österreich wohl bereits in diesem Winter einen Großteil davon verbrauchen müssen. In der kommenden Speichersaison wäre wieder mit sehr stark steigenden Preisen zu rechnen.

Ein Teil der strategischen Reserve wurde in den vergangenen Wochen auch in Haidach eingespeichert. Der Großteil des Gases in dem Speicher ist allerdings für deutsche Verbraucher bestimmt. Tirol und Vorarlberg, die ja keine Verbindung zum ostösterreichischen Gasnetz haben, haben in Haidach ebenfalls Gas eingelagert.

Auch der Speicher selbst war bisher nicht an das heimische Übertragungsnetz angeschlossen. Wenngleich in Ausnahmefällen Gas aus dem Speicher − über einen kleinen Umweg über Deutschland − auch in den Osten Österreichs gebracht werden konnte. In den Jahren 2018 und 2019 sei es vereinzelt zu einem solchen "Reverse Flow" gekommen, sagt Lehner von der RAG.

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Für die heimische Politik reichte das aber nicht. So wurde heuer per Gesetz festgelegt, dass Haidach über eine direkte innerösterreichische Leitung an das heimische Verteilnetz angeschlossen werde müsse. Bei den deutschen Nachbarn war diese Ankündigung nicht nur wohlwollend aufgenommen worden. Ein eigener Vertrag zwischen Deutschland und Österreich soll sicherstellen, dass die Gasflüsse zwischen den beiden Länder gesichert sind. Der Vertrag ist inzwischen finalisiert, wenn auch noch nicht unterschrieben.

Auch die Anbindung von Haidach an das österreichische Netz sollte tatsächlich noch vor Jahresende erledigt sein. Ganz banal war der Anschluss nicht. Musste dafür unter anderem eine unter Druck stehende Leitung angebohrt werden.

Solche technischen Anforderungen scheinen freilich gering angesichts der Herausforderungen, in den kommenden Monaten und Jahren auf Europa und damit auch Österreich zukommen. Es ist europäischer Konsens, sich ganz von fossilen Energieträgern und damit auch Erdgas loszusagen. Doch klar ist auch: Von heute auf morgen wird das nicht möglich sein.

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Europa wird auch noch in den kommenden Jahren Erdgas benötigen. Eine der großen Fragen wird sein, wo dieses herkommt. Dass sich Österreich gerade erst am Donnerstag aus Abu Dhabi eine Schiffsladung LNG gesichert hat, ist dabei nur ein kleines Puzzlestück.

Quelle:
https://orf.at/stories/3291382/
(abgerufen am 28.10.2022)