Anthropozän


Der menschliche Einfluss auf die Erde ist so groß, dass bereits seit Jahren vom Anthropozän gesprochen wird, vom Erdzeitalter der Menschen. Ob es sich dabei tatsächlich um eine neue geologische Epoche handelt, wird in der Geologie allerdings noch immer kontrovers diskutiert. Dieses Jahr könnte eine Entscheidung fallen.

Das letzte Wort hat die International Commission on Stratigraphy. Sie wird dieses Jahr entscheiden, ob sie den Vorschlag, ein neues Erdzeitalter auszurufen, annimmt oder nicht. Den Vorschlag erarbeitet hat die Anthropocene Working Group. Sie definiert den Anstieg des Radionuklids Plutonium im Rahmen der oberirdischen Atomtests im Kalten Krieg als Zäsur für ein neues Erdzeitalter, das Anthropozän.

Während der Begriff in den Medien und in anderen Disziplinen bereits Fuß gefasst hat, dauert die Diskussion in der Geologie noch weiter an. Bisher handelt es sich bei dem rund um das Jahr 2000 durch den Nobelpreisträger Paul Crutzen populär gemachten Begriff um eine vage und inoffizielle Bezeichnung für eine Epoche. Geht es nach der internationalen Anthropozän−Arbeitsgruppe soll sich das ändern. Sie hat jahrelang nach Geosignalen gesucht, mit deren Hilfe sich das neue geologische Zeitalter definieren lässt.

"Das war eine sehr lange Debatte innerhalb der Arbeitsgruppe", sagt der Geologieprofessor Michael Wagreich von der Universität Wien, der Mitglied der Arbeitsgruppe war. Um eine neue Epoche zu definieren, müsse das Signal weltweit gleichzeitig auftreten. Das sei beim Fallout der atmosphärischen Atombombentests der Fall, weshalb eine relativ große Mehrheit der Gruppe sich schließlich für diesen Marker ausgesprochen habe.

"Das Plutonium als Marker zu verwenden, ist Pragmatismus", meint Wagreich. Das Plutonium stehe stellvertretend für die große Beschleunigung, die in den 1950er Jahren begann und geprägt ist von Bevölkerungswachstum, Industrialisierung, dem Anstieg von Treibhausgasen und Umweltzerstörungen.

Nicht nur der Geomarker, auch der Beginn des neuen Zeitalters ist umstritten und wurde auch innerhalb der Arbeitsgruppe lange diskutiert. Einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Arbeitsgruppe, darunter auch Wagreich, wollten den Beginn des Anthropozäns ursprünglich wesentlich früher ansetzen, mit dem Beginn des Bergbaus oder der Industrialisierung etwa. Beides Prozesse, deren Signale sich nicht global, sondern vorwiegend lokal in die Erdgeschichte eingeschrieben haben.

Ob Plutonium sich als Geomarker eignet, ist in der Geologie umstritten. Geologische Marker müssen nicht nur global im Gestein nachweisbar, sondern auch noch in Millionen Jahren lesbar sein, betont Christian Köberl, Professor für Impaktforschung und planetare Geologie an der Universität Wien. "Beide Plutoniumisotope, die herangezogen werden, haben Halbwertszeiten von 24.000 bzw. etwas über 6.000 Jahren."

Nach wenigen hunderttausend Jahren seien die Marker für das Anthropozän in den geologischen Proben nicht mehr nachweisbar, kritisiert der Wissenschaftler. Die vorgeschlagene Definition für das Anthropozän sei daher nur eine Definition für die Jetztzeit und nicht vergleichbar mit andern Geomarkern, wie etwa einer erhöhten Iridiumkonzentration, die durch einen Asteroideneinschlag verursacht wurde und heute die Grenze zwischen Kreidezeit und Paläogen vor 66 Millionen Jahren kennzeichnet.

Bereits das Holozän ist mit knapp 12.000 Jahren ein relativ kurzes Erdzeitalter. Das Anthropozän wäre mit bisher rund 75 Jahren ein "geologischer Ausreißer", zumindest was seine bisherige Dauer betrifft. Von einem neuen geologischen Zeitraum zu sprechen, sei dennoch angebracht, ist Wagreich überzeugt. Denn der Mensch hinterlässt Spuren auf der Erde, die auch über seine Existenz hinaus spürbar sein werden.

Laut Modellberechnungen hat der Mensch durch den Ausstoß von Treibhausgasen die langfristigen Zyklen, die das globale Klima in den letzten Millionen Jahren durchlief, bereits aus dem Takt gebracht und den Beginn der nächsten Eiszeit um Zehntausende von Jahren verschoben. Schon jetzt sei daher klar, dass der Mensch die Erde zumindest für die nächsten 50.000 bis 60.000 Jahre prägt, wenn nicht weit darüber hinaus. "Ich glaube, dass im Rückblick eher das Holozän das kurze Erdzeitalter sein wird", meint der Forscher.

Wie lange das Anthropozän andauert, wird sich erst im Rückblick eindeutig sagen lassen. Dennoch sei es wichtig, die Frage nach einem neuen Erdzeitalter vom heutigen Standpunkt aus zu beurteilen. "Die geologische Zeitskala soll der Gesellschaft dienen", sagt Wagreich. Zudem seien die menschengemachten Ablagerungen − über das Plutonium hinaus − in vielfältiger Weise vorhanden. Das konnte der Forscher auch bei Untersuchungen des Wiener Stadtbodens zeigen.

Den Vorwurf an die Anthropozän−Arbeitsgruppe, dass das Plädoyer für ein neues Erdzeitalter nicht nur geologisch, sondern auch politisch motiviert sei, kann Wagreich nachvollziehen. "Ich denke, die Situation des Planeten ist so, dass ich mich engagieren muss, zumindest als Geologe."

Quelle:
https://science.orf.at/stories/3223200/
(abgerufen am 09.02.2024)