Steigende Hitze


Die bisher aktuellsten Klimadaten vom grönländischen Eisschild zeigen, dass die Temperaturen dort bereits deutlich höher sind als in den letzten eintausend Jahren. Die enormen Eismassen schmelzen − sollte sich daran nichts ändern, wird der steigende Meeresspiegel schon bald zum globalen Problem.

Nach der Antarktis gibt es in Grönland die zweitgrößte permanent vereiste Fläche der Welt. Über 80 Prozent der Insel sind ganzjährig mit einem Eispanzer bedeckt, der Schätzungen zufolge ein Volumen von knapp drei Millionen Kubikkilometer hat.

Klimaforscherinnen und −forscher auf der ganzen Welt werfen bereits seit Jahren ein wachsames Auge auf das Grönland−Eis. Insgesamt hat es das Potenzial, den Meeresspiegel um mehr als sieben Meter steigen zu lassen. Dazu kommt es jedoch nur, wenn das komplette Eis schmilzt − auch bei einem weiteren Anstieg der Temperaturen liegt das noch in eher ferner Zukunft. Einer Studie aus dem Jahr 2021 zufolge, könnte das Eis bis zum Ende des Jahrtausends komplett verschwunden sein.

Problematisch sei aber auch schon ein weitaus geringerer Anstieg des Meeresspiegels, erklärt die Gletscher− und Polarforscherin Maria Hörhold vom deutschen Alfred−Wegener−Institut (AWI) in Bremerhaven. "Wenn wir mit unseren Treibhausgasemissionen so weitermachen, wie bisher, dann rechnen wir mittlerweile damit, dass das schmelzende Eis aus Grönland den Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 um bis zu 50 Zentimeter ansteigen lassen kann", so die Glaziologin gegenüber science.ORF.at. Für viele Küstenregionen sei das schon zu viel, Millionen Menschen könnten bis zum Ende des Jahrhunderts demnach ihre Heimat verlieren.

Von den Küstenregionen Grönlands melden Wetterstationen schon lange einen stetigen Temperaturanstieg. Wie stark sich das vereiste Inland im Lauf der Zeit aber bereits erwärmt hat, wurde bisher kaum erforscht.

Grund dafür seien unter anderem starke regionale Temperaturschwankungen, die Untersuchungen im Inland erschweren, so Hörhold. Diese natürliche Variabilität des Klimas habe etwa bereits dazu geführt, dass die Untersuchung von einigen Eisbohrkernen in den 1990er−Jahren keine eindeutigen Resultate ergab. Trotz der weltweit steigenden Temperaturen fanden die Forscherinnen und Forscher damals keine konkreten Hinweise auf einen Temperaturanstieg in Zentral− und Nordgrönland.

Hörhold hat das bis zu dreitausend Meter dicke Eis nun aber genauer untersucht. "Man hat dort wahrscheinlich rund 120.000 Jahre Klimageschichte im Eis archiviert", erklärt sie. Zusammen mit einem Team von deutschen Forscherinnen und Forschern hat die Glaziologin bereits vorhandene Daten über das Grönland−Eis und aktuellere Eisbohrkerne analysiert, die bei Expeditionen des AWI bis zum Winter 2011/2012 gesammelt wurden. Durch die Analyse von Sauerstoffisotopen im Eis konnte das Team die Durchschnittstemperatur für den Zeitraum von 2001 bis 2011 erheben und mit den anderen Daten vergleichen.

Steigende Hitze 01

Die Untersuchung, die das Forschungsteam derzeit im Fachjournal "Nature" präsentiert, hat laut Hörhold zu erwartbaren Ergebnissen geführt. Bei dem Zeitraum, aus dem die bisher aktuellsten Klimadaten des Grönland−Eises stammen, handelte es sich demnach um die wärmste Dekade in Nord− und Zentralgrönland seit eintausend Jahren.

Im Vergleich zum vergangenen Jahrtausend hat sich die Region in den Höhenlagen des massiven Eisschilds bis 2011 bereits um 1,5 Grad Celsius erwärmt. "Die Ergebnisse waren leider erwartet, ihre Eindeutigkeit und Prägnanz ist aber doch überraschend", so Hörhold.

Die Forscherinnen und Forscher hatten bisher nur Gelegenheit, Daten von Eisbohrkernen bis zum Jahr 2011 genauer zu untersuchen. Ein nächstes Ziel des Teams ist es aber, die Durchschnittstemperatur auch für die Jahre danach zu berechnen. "Die dafür nötigen Eisbohrkerne sind bereits gesammelt und momentan im Labor in der Analyse", erklärt Hörhold.

Konkrete Ergebnisse haben die aktuelleren Eisbohrungen zwar noch nicht gebracht, die Glaziologin geht aber stark davon aus, dass die Temperaturen in Grönland seit 2011 noch weiter gestiegen sind. Davon zeugen unter anderem die immer häufiger werdenden extremen Schmelzereignisse der vergangenen Jahre.

Zu einer Rekordschmelze kam es etwa vor elf Jahren. Im Juli 2012 zeigten Satellitenbeobachtungen, dass auf fast 99 Prozent der gefrorenen Oberfläche das Eis schmolz. Unter normalen Umständen wäre es zu dieser Zeit nur auf weniger als der Hälfte der Fläche zu Schmelzvorgängen gekommen.

"Es ist natürlich zu erwarten, dass sich dieser Trend fortsetzt. Einige Studien gehen davon aus, dass wir solche Schmelzereignisse in Zukunft jährlich haben werden. Insgesamt ist für mich klar, dass auch die Durchschnittstemperaturen noch weiter nach oben gehen werden", so Hörhold.

Das Team konnte auch einen direkten Zusammenhang zwischen dem Temperaturanstieg im Landesinneren von Grönland und der an den Küsten gemessenen Schmelzwassermenge feststellen. Aus dem Vergleich mit älteren Schmelzwasserdaten entstand eine Datenbank, die eine Grundlage für künftige Untersuchungen bilden soll. "Meeresbiologen könnten damit zum Beispiel bessere Prognosen darüber anstellen, welche Auswirkungen das zusätzliche Frischwasser auf das marine Ökosystem haben wird", erklärt Hörhold.

Die Glaziologin wird das Grönland−Eis auch weiterhin untersuchen, um so viel darüber in Erfahrung zu bringen wie möglich. Klar sei aber: "Unsere Studien können das Eis nicht vor dem Schmelzen schützen − da hilft wirklich nur noch eine tatsächlich effektive Reduktion unserer Treibhausgasemissionen."

Quelle:
https://science.orf.at/stories/3217208/
(abgerufen am 22.01.2023)