Überschätzung


In Prognosemodellen wird die Belastung mit bodennahem Ozon in Städten derzeit überschätzt. Das zeigen Langzeitmessungen von Luftschadstoffen in Innsbruck. Seit langem verwendete rechnerische Vereinfachungen in Atmosphärenmodellen dürften die Ursache für die Fehleinschätzung sein. Ozonwarnstufen sind davon nicht betroffen, wenn sie auf tatsächlichen Messungen basieren.

In europäischen Städten führt der große Anteil an Dieselfahrzeugen zu hohen Konzentrationen von Stickstoffmonoxid (NO). Dieses reagiert mit Ozon (O3) und Stickstoffdioxid (NO2) entsteht. In der Atmosphäre zerfällt NO2 wieder zu NO und atomarem Sauerstoff (O), der sich sofort wieder mit Luft−Sauerstoff (O2) zu Ozon verbindet. Diese Reaktionen hat der US−Chemiker Philip Leighton (1897−1983) vor über 60 Jahren im ersten Lehrbuch zur Luftverschmutzung mathematisch beschrieben. Und auch heute noch verwenden Computermodelle zur Simulation der Atmosphärenchemie Leightons rechnerische Vereinfachungen, mit denen er die Komplexität der Prozesse minimiert hat.

"Er hat diese beiden Prozesse als ein Verhältnis dargestellt − lokal, also zum Beispiel in der Stadt, sollte dann gleich viel Ozon entstehen wie zerstört wird", erklärte Thomas Karl vom Institut für Atmosphären− und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck gegenüber der APA. Ein internationales Forscherteam um Karl hat nun aber anhand der Messdaten des "Innsbruck Atmospheric Observatory" (IAO) gezeigt, dass diese für Luftgüteprognosen grundlegende Lehrmeinung für den urbanen Raum revidiert werden muss.

Der 40 Meter hohe Messturm des IAO im Stadtgebiet von Innsbruck liefert laufend Daten über die Zusammensetzung der bodennahen Atmosphäre. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben mit den Daten aus den Jahren 2018 bis 2022 die Chemie von Ozon und den Stickoxiden im urbanen Raum detailliert analysiert.

Es zeigte sich, dass bei hohen Stickstoffmonoxid−Emissionen die rechnerischen Vereinfachungen zu falschen Ergebnissen führen: In Städten werde dabei das Verhältnis zwischen Ozon−Bildung und −Zerstörung um bis zu 50 Prozent überschätzt. "Dies führt dazu, dass Modellrechnungen die Konzentration von bodennahem Ozon im urbanen Raum überschätzen", so Karl.

Verantwortlich dafür seien die hohen NO−Emissionen in Städten, die durch die dort vorherrschenden starken Turbulenzen rasch in der untersten Atmosphärenschicht vertikal durchmischt werden. Gleichzeitig werde bei den relativ rasch ablaufenden chemischen Prozessen mehr Ozon in Stickstoffdioxid umgewandelt. Bis zu knapp 200 Meter über dem Boden führt dies zu effizienterem Ozonabbau. Dem gegenüber sei der direkte Ausstoß von NO2 durch den Verkehr in Städten weitgehend vernachlässigbar, wie die Daten zeigten.

Die Forscher betonen, dass umweltpolitische Vorschriften wie etwa Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht auf Modellrechnungen basieren, sondern abhängig von tatsächlich gemessenen Schadstoffkonzentrationen in Kraft treten. "In vielen Städten wird allerdings oft kein Ozon direkt gemessen, da man davon ausgeht, dass eher die Stickstoffdioxid−Belastung ein Thema für die Luftgüte ist", so Karl.

Quelle:
https://science.orf.at/stories/3217196/
(abgerufen am 22.01.2023)