Nordatlantik


In den sozialen Netzwerken haben Temperaturgrafiken für Aufsehen gesorgt, die eine historische Erwärmung des Wassers im Nordatlantik zeigen. Die Klimakrise spielt dabei eine große Rolle, ist aber nicht der einzige Grund. Die Entstehungsgeschichte über die vergangenen Wochen ist komplexer. Auch die bevorstehende Hurrikan−Saison dürfte vom wärmeren Ozean beeinflusst werden.

"Wenn wir uns die Statistik ansehen, gibt es eine 1 zu 256.000 Chance, so etwas zu beobachten, was wir gerade beobachten. Das ist mehr als außergewöhnlich", twitterte der Meeresforscher Brian McNoldy von der Universität Miami. McNoldy bezog sich auf Messungen der US−Ozeanografie− und Meteorologiebehörde (NOAA). Sie zeigen, dass die Wassertemperaturen im nördlichen Teil des Atlantiks seit März durchgehend auf Rekordniveau für die jeweilige Zeit im Jahr liegen. Die modernen Satellitenmessungen begannen im Jahr 1981.

Derzeit ist die Ozeanoberfläche des Nordatlantiks rund ein Grad wärmer als im langjährigen Mittel. Das mag nicht dramatisch klingen, darf aber nicht mit einer Eingraderwärmung der Lufttemperatur gleichgesetzt werden. Wasser verhält sich um ein Vielfaches träger als Luft und benötigt zur Erwärmung deutlich mehr Energie.

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Die aktuelle Erwärmung des Nordatlantiks hat − neben der Klimaerwärmung − mehrere Ursachen, die sich heuer ungünstig überlagern, wie ein Blick hinter die meteorologischen Kulissen zeigt. Abseits von den großen Temperaturgegensätzen vor der Küste Nordamerikas, die dem Golfstrom geschuldet sind, fallen zwei große Gebiete mit ungewöhnlichen, rot eingefärbten Wassertemperaturen auf: ein Streifen von der Küste Spaniens und Irlands bis zur Südspitze Grönlands sowie eine große Wasserfläche vor der Westküste Afrikas.

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Das nördliche der beiden Gebiete hat sich vor allem im vergangenen Monat sehr stark erwärmt. Ein beständiges Hochdruckgebiet sorgte hier über Wochen für relativ ruhiges Wetter mit überdurchschnittlichen Lufttemperaturen. Diese Wärme wurde nach und nach vom Wasser aufgenommen. Starker Wind oder gar Stürme waren in dieser Zeit Mangelware, sodass die Wasseroberfläche nicht durch hohen Wellengang aufgewirbelt wurde und somit kaum kühles Tiefenwasser an die Oberfläche gelangte.

Während sich das Hochdruckgebiet vor der Küste Irlands immer wieder regenerieren konnte, blieb das typische Azoren−Hoch in den vergangenen Wochen weitgehend aus. Dabei ist das Azoren−Hoch üblicherweise der Antrieb für die Passatwinde am Äquator. Durch schwächere Passatwinde erwärmte sich somit auch das südliche Gebiet auf dem Meer − von Afrika bis zur Karibik.

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Direkt vor der Küste Afrikas kommt noch ein zweiter, indirekter Effekt hinzu: Aufgrund der schwachen Passatwinde wurde in den vergangenen Wochen wenig Staub aus der Sahara über das offene Meer geweht. Dieser Mangel an Aerosolen, also kleinen, in der Luft schwebenden Teilchen, führt zu einer durchlässigeren Atmosphäre. Dadurch kann mehr Sonnenstrahlung die Meeresoberfläche erreichen und diese erwärmen, wie Marc Olefs, Leiter der Abteilung Klimaforschung der GeoSphere Austria, erklärte.

Bleibt noch die Frage, wie sich das warme Wasser im Atlantik auf die bevorstehende Hurrikan−Saison auswirkt. Grundsätzlich fördert wärmeres Wasser die Intensivierung von tropischen Wirbelstürmen. Die Stürme können über wärmerem Wasser mehr Energie freisetzen, was letztlich zu höheren Windgeschwindigkeiten führt.

Dem könnte heuer jedoch das Meeresphänomen "El Nino" entgegenwirken, das sich in den nächsten Monaten intensiviert. "El Nino" wirkt zwar primär über dem Pazifik, kann aber indirekt zu stärkeren Windgeschwindigkeiten über dem Atlantik führen. Paradoxerweise ist starker Wind bei der Entstehung von Hurrikans eher hinderlich, weshalb die Wahrscheinlichkeit dafür heuer wieder ein wenig sinkt.

Die Fachwelt blickt jedenfalls gespannt auf die nächsten Monate. Die Hurrikan−Saison erreicht ihren Höhepunkt üblicherweise rund um den Monat September. Schon nächste Woche könnte über dem tropischen Atlantik ein erster Wirbelsturm entstehen und langsam in Richtung Karibik ziehen.

Quelle:
https://orf.at/stories/3320451/
(abgerufen am 17.06.2023)