Subtropisch


Der soeben veröffentlichte Jahresbericht der Weltwetterorganisation (WMO) bestätigt erneut: Die globale Erhitzung schreitet voran, zu Land wie zu Wasser. Algen, Plankton und Fische haben längst reagiert − in Form einer Völkerwanderung, wie ein Lokalaugenschein im Nordatlantik zeigt.

Vor fünf Wochen ging ein dramatisches Szenario durch die Medien: Durch das Schmelzen des polaren Meereises könnte die Wärmepumpe Europas, die sogenannte Atlantische Umwälzzirkulation, zum Erliegen kommen. Wobei man das "könnte" laut einer Studie niederländischer Forscher nun ersetzen muss durch "wird": Diese Konsequenz der globalen Erwärmung ist mehr oder minder fix, die Frage ist nur, wann das System seinen Kipppunkt überschreitet.

Dass das noch in diesem Jahrhundert passieren wird, gilt als sehr wahrscheinlich. Für Österreich würde das bedeuten, dass wir in Wien im Winter Verhältnisse hätten, "die der Wetterstation Galzig am Arlberg in 2.100m Seehöhe entsprechen", sagte der Klimaforscher Marc Olefs von Geosphere Austria im Ö1−Mittagsjournal.

Auffällige Änderungen im atlantischen Strömungshaushalt hat auch Gerald Herndl auf seiner jüngsten Forschungsfahrt zwischen Island und den Azoren festgestellt. Der Meeresbiologe von der Uni Wien verfügt über 20−jährige Forschungserfahrung im Nordatlantik, speziell in der Tiefsee. Und genau dort befindet sich der Motor der atlantischen Umwälzzirkulation.

"Wir sehen, dass das Wasser in 2.500 bis 4.000 Meter Tiefe nun leicht wärmer ist, aber vor allem viel weniger Salzgehalt hat. Das bedeutet, dass die atlantische Zirkulation abnimmt." Das Computermodell seiner niederländischen Kollegen hat er also mit Messungen im Tiefenwasser bestätigt. Herndl hält Abstand zu jeder Form von Alarmismus, ernst ist sein Fazit dennoch. Dies sei ein "Warnsignal", sagt er.

Die Folgen des Klimawandels beschränken sich freilich nicht auf Temperatur, Salzgehalt und Strömungsmuster. Auch die Tier− und Pflanzenwelt kommt in Bewegung. Während etwa die sessilen Korallen den Hitzewellen in tropischen Gewässern ausgeliefert sind, wandern die Kleinstlebewesen der Subtropen − Algen und tierisches Plankton − Richtung Norden. Und ziehen mit dieser Wanderungsbewegung das gesamte Nahrungsnetz mit sich, Fische inklusive. Man spreche in diesem Zusammenhang mittlerweile von einer "Tropikalisierung des Nordatlantiks", so Herndl.

Das hat auch konkrete Auswirkungen auf die CO2−Bilanz. Die Tropen geben im Zuge der Erwärmung mehr an CO2 durch Atmung ab, im Norden steigt die Pflanzenproduktion − was das im Summe bedeutet, ist noch Gegenstand von Forschungen. Dass sich die Bilanz nicht zum Besseren verändern wird, legt zumindest eine biochemische Daumenregel nahe. Durch ein Temperaturplus wird normalerweise die Atmung stärker angekurbelt als die Photosynthese.

Unter Stress stehen durch die Klimaerwärmung auch alle Lebewesen mit Kalkschalen und −skeletten, da das im Meerwasser gelöste CO2 zu einer "Versauerung" führt. Noch ist der Ozean leicht basisch, aber bereits dieser pH−Wert ist für die kalkbildenden Lebewesen ein Problem − das sich im Prinzip durch eine einfache Maßnahme bekämpfen ließe. Man könnte nämlich durch Ausbringen von Magnesiumhydroxid das natürliche Puffersystem des Ozeans ankurbeln, eine Art "Ocean−Engineering". Rein chemisch betrachtet spräche einiges dafür, sagt Herndl. "Das Magnesium−Hydroxid reagiert mit CO2 zu Magnesium−Bikarbonat. Und davon gibt es im Ozean ohnehin schon große Mengen."

Das hätte gleich zwei wünschenswerte Effekte: Zum einen würde der Ozean dadurch wieder basischer, zum anderen ließe sich so die Aufnahmekapazität für CO2 wieder erhöhen. Erste Versuche in Dalhousie, Kanada, seien auch vielversprechend verlaufen, als Heilmittel im großen Stil sei die Maßnahme gleichwohl ungeeignet, betont Herndl. "In Küstengebieten könnte man das durchaus machen. Aber eine flächendeckende Anwendung halte ich für nicht realistisch. Außerdem sind die ökologischen Wirkungen noch gar nicht erforscht."

Ähnlich verhält es sich mit anderen Initiativen zur Restaurierung der Ozeane, die derzeit in der Fachgemeinde diskutiert werden. Sei es die Wiederansiedelung von Seegräsern, das Aufforsten von Mangroven oder die Düngung von Makroalgen − sie alle wirken sich positiv auf die CO2−Bilanz aus, doch letztlich handelt es sich um Kosmetik. Zu lösen wird das Klimaproblem nur sein, wenn man es an seiner Wurzel packt. Bei der Emission von Klimagasen.

Quelle:
https://science.orf.at/stories/3224221/
(abgerufen am 24.03.2024)